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Einkaufen in Leipziger Straße Einkaufen in Leipziger Straße: Halles Boulevard zwischen Flaniermeile und Drogenhandel

Von Gert Glowinski und Anne Löser 10.10.2016, 06:19
Macht dicht: Taschenladen auf dem Oberen Boulevard.
Macht dicht: Taschenladen auf dem Oberen Boulevard. Löser

Halle (Saale) - Es ist Halles schönste, berüchtigtste, älteste - und einzige wirkliche Einkaufsstraße. Der Boulevard ist von Drogenhandel, Leerstand und Kriminalität genauso geprägt wie von gutgehenden kleinen und großen Geschäften, Straßenkunst und bunten Leuchtreklamen. Auf keiner anderen Straße flanieren täglich so viele Menschen wie auf der Leipziger Straße zwischen Riebeckplatz und Markt.

Die Immobilien-Experten der Firma Jones Lang LaSalle wollen in diesem Jahr sogar herausgefunden haben, dass pro Stunde mehr als 6.030 Menschen hier zu finden sind - mehr als in Leipzig auf der Petersstraße. Gern möchte man das als Hallenser glauben, aber auch die Probleme auf dem Boulevard sind unübersehbar.

Regelmäßig die Polizei zu Gast

Uhrmachermeister Torsten Krause betreibt seit drei Jahren ein Geschäft auf der oberen Leipziger Straße. Dort ist regelmäßig die Polizei zu Gast. Vor allem Schwarzafrikaner werden oft kontrolliert - seitdem der Riebeckplatz videoüberwacht wird, hat sich der Drogenhandel hierher verlagert. „Irgendwann hab ich die Junkies auch hier im Laden“, befürchtet Krause.

Gestohlen wird aber kaum etwas aus seinem Geschäft. Die Scheiben hat der Ladeninhaber mit Panzerglas versehen. „Da kommt keiner durch.“ Und wie laufen die Geschäfte in dem einzigen richtigen Uhren-Laden auf dem Boulevard? „Ich setze vor allem auf Reparaturen. Der Verkauf läuft schleppend.“ Denkt er ans aufhören? Darüber will Krause nicht spekulieren.

Leerstand und fehlende Kunden

Wenige Meter entfernt hatte Peter Rienow Anfang des Jahres ein Geschäft eröffnet. Tee zum mitnehmen, das war seine Idee. Funktioniert hat sie nicht. Bereits Ende Mai war wieder Schluss, seitdem steht der Laden leer. „Es fehlten einfach die Kunden, obwohl viele Passanten an dem Laden vorbeigelaufen sind.“ An der Lage kann es also nicht gelegen haben. Vielleicht ein Imageproblem für diesen Teil des Boulevards?

Natürlich hat gerade dieser Bereich der Straße einen schlechten Ruf, die Polizei ist im wörtlichen Sinn Dauergast. Direkt neben dem früheren Laden von Rienow steht nahezu täglich ein Streifenwagen, es gibt regelmäßig Kontrollen.

Cannabis und andere Drogen

„Die bisherigen Ermittlungen zeigen, dass am Riebeckplatz und in dessen Umfeld ein offener Kleinhandel mit Cannabisprodukten betrieben wird. Die Dealer, hauptsächlich afrikanischer Herkunft, geben Cannabisprodukte in kleinen Mengen vornehmlich an deutsche Konsumenten ab“, so Polizeisprecherin Ulrike Diener. Seit Januar seien bereits über 200 Straftaten rund um Riebeckplatz und Obere Leipziger Straße erfasst. „Etwa ein Drittel davon sind Anzeigen wegen Drogendelikten.“

16 Geschäfte stehen zwischen Riebeckplatz und Leipziger Turm leer - von 60 Läden insgesamt. Geschäfte mit eher höherpreisigen Artikeln findet man vergebens - bis auf Krauses Uhrenladen und drei kleine Modeboutiquen. Dort finden sich im Schaufenster schon mal Kleider für 300 Euro. Liegt die hohe Leerstandsquote vielleicht an zu hohen Mieten?

Mieten der Immobilien moderat

Das mag im Einzelfall der Grund sein, oftmals sind die Mieten aber für eine Innenstadtlage moderat. So musste Rienow für sein Tee-Geschäft und etwa 40 Quadratmeter 680 Euro kalt bezahlen.

Viel höhere Preise zahlt man in einem ganz anderen Teil des Boulevards. Die bekannte Haushaltsmarke WMF, die seit 1992 gegenüber der Ulrichskirche ansässig ist, schließt ihre einzige Filiale in Halle. Eine bessere Lage dürfte es aber in der Saalestadt kaum geben. Laut WMF habe sich der Standort wirtschaftlich aber nicht rentiert. Im Klartext: Für die hohe Ladenmiete waren die Einnahmen offenbar zu gering.

Preis pro Quadratmeter

Zwischen beiden Teilen des Boulevards gibt es tatsächlich ein deutliches Preisgefälle. Im oberen Teil der Straße gehen die Preise bis auf fünf Euro pro Quadratmeter runter. Je näher man dem Markt kommt, desto mehr steigen sie. So zahle man laut Rafael Schaefer von der halleschen Immobilienfirma Immohal in Spitzenlagen bis zu 80 Euro für einen Quadratmeter.

Das können sich in der Regel nur die großen Ketten leisten - aber selbst die haben mitunter Probleme, wie das Beispiel WMF zeigt. Der Immobilienverwalter glaubt, dass es in der nächsten Zeit kaum zu extremen Preissteigerungen kommen wird. „Entweder die Preise bleiben ungefähr gleich oder fallen sogar leicht.“ Denn auch im unteren Teil der Straße gibt es Leerstand.

Kein Läden-Sterben

121 Geschäfte finden sich auf beiden Teilen des Boulevards. 25 stehen leer. Eine hohe Fluktuation scheint es dennoch nicht zu geben. Nach Angaben der Stadt haben im ersten Halbjahr 15 Gewerbetreibende aufgegeben. Parallel dazu verzeichneten die Behörden aber 16 Neuanmeldungen. Die drei Ummeldungen fallen dabei nicht ins Gewicht. Also: Von einem Läden-Sterben kann keine Rede sein.

Im Gegenteil: Ab Mitte November zieht der Drogeriemarkt dm in das ehemalige Schuhhaus Goertz ein. Gründe für den Umzug aus dem Ritterhaus seien mehr Laufkundschaft und eine größere Ladenfläche. Ohnehin hat der Boulevard seit einigen Monaten deutlich an Attraktivität gewonnen: Der Elektro-Riese Saturn hat neben der Ulrichskirche aufgemacht, daneben eröffnete vor Kurzem Rewe. Der Supermarkt lockt vor allem mit Öffnungszeiten bis 22 Uhr.

Rewe und Saturn

Und der Laden brummt: „Wir sind mit der Entwicklung des ersten Geschäftsjahres zufrieden und verzeichnen eine steigende Kundenfrequenz“, sagt Rewe-Sprecher Thomas Bonrath. Das Geschäft laufe so gut, dass man an der Spitze einen weiteren Markt mit sogenanntem City-Konzept baut.

Für Rewe ist der neue Standort auf dem Boulevard also ein Glücksfall. Saturn scheint ebenflls glücklich mit Halles Boulevard: „Für das Weihnachtsgeschäft würden wir uns wünschen, dass es bis dahin weniger Baustellen gibt“, so eine Saturn-Sprecherin.

HWG und Edeka

Und auch für den oberen Boulevard scheint es Hoffnung zu geben. Die HWG wird am Riebeckplatz, wo sich jetzt noch Edeka befindet, neue Wohnungen schaffen. Edeka wird wieder einziehen. Dies sei „ein wichtiger Baustein für eine positive Entwicklung“ der Straße, sagt Immobilienverwalter Schaefer. „Durch die Anwohner kommt neues Leben dorthin. Da ist ein Licht am Horizont.“

Ob das ausreicht, das angeschlagene Image des oberen Boulevards aufzupeppen? Denn oft ist es neben der Kriminalität der Branchenmix in diesem Teil der Einkaufsstraße, der Kunden missfällt. Zu viel Ramsch! Rentner Manfred Mettin bringt diese Ansicht auf den Punkt: „Die obere Leipziger Straße ist eine Schrottmeile.Aber unten ist es schön belebt“ Passantin Barbara Bärentz sieht es ähnlich: „Die Leute, die vom Bahnhof kommen, erhalten einen Eindruck, der dieser Stadt nicht würdig ist.“ (mz)

Großes Begängnis und florierender Handel - das kann in Halle nur die untere Leipziger Straße sein. Doch wenige Schritte weiter zeigt sich ein anderes Bild.
Großes Begängnis und florierender Handel - das kann in Halle nur die untere Leipziger Straße sein. Doch wenige Schritte weiter zeigt sich ein anderes Bild.
Jens Schlüter
Uhrmachermeister Torsten Krause weiß nicht,  ob es mit seinem Geschäft noch lange gutgeht
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Holger John