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Drogenproblem am halleschen Müntzer-Gymnasium Drogenproblem am halleschen Müntzer-Gymnasium: Vor der Schule der erste Joint

Von Steffen Könau 20.02.2015, 11:47
Haschisch rauchende Schüler - ein Gymnasium in Halle setzt auf Aufklärung und Beratung.
Haschisch rauchende Schüler - ein Gymnasium in Halle setzt auf Aufklärung und Beratung. dpa Lizenz

Halle (Saale) - Frühstück, Klo, Jacke an und dann los zum Treff. Kleines Hallo in die Runde, die jeden Morgen an der Platte in der Nähe des halleschen Thomas-Müntzer-Gymnasiums steht. Und dann schnell einen drehen, das war Routine. Ein Schultag fing für Ron nicht richtig an, wenn der Start nicht stimmte. „Und zum Start gehörte eben auch ein Joint“, sagt der junge Mann in Wollmütze und Kapuzenjacke, der seinen richtigen Namen natürlich nicht in der Zeitung lesen will.

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Es muss nicht unbedingt die ganze Stadt wissen, wie er seine Schultage verbrachte, „als ich ganz hart drauf war“. Morgens die erste Dosis Cannabis, in der Hofpause nachinhaliert, nach Schulschluss dann abhängen mit den anderen und aufpassen, dass das Level gehalten wird. „Viel anderes hab ich nicht mehr gemacht.“

Und Ron, der mit 14 seinen ersten Joint rauchte, ist nicht der einzige. Zwei, drei Dutzend Schülerinnen und Schüler des angesehenen Gymnasiums im halleschen Giebichensteinviertel sind es, die zum harten Kern der Dauerkiffer gehören, ein paar Dutzend weitere Teenager sind gelegentlich dabei. Es gehe nicht um Crystal, Ectasy oder andere Drogen, sondern ausschließlich um Haschisch, versichert einer, der die Schule im vergangenen Jahr verlassen hat. Die weiche Droge werde nicht nur am Wochenende oder bei langen Computerspielabenden geraucht, sondern bei jeder Gelegenheit. „Wir haben ganze Tage zugedröhnt in der Klasse gesessen“, beschreibt Ron seine „wilden Jahre“, wie er es nennt. Seine Lehrer hätten wohl immer etwas vermutet, aber gesagt habe nie einer was. „Das war doch am besten für alle.“

30 bis 40 Kiffer an einer Schule sind grundsätzlich nicht viel - doch was macht das mit dem Ruf des TMG? Lesen Sie hier weiter.

Ist das TMG nicht eine Drogenschule?

Bei fast tausend Kindern und Jugendlichen, die die allgemein nur TMG genannte Schule im halleschen Norden besuchen, sind 30 oder 40 Kiffer nicht viel. In einer Stadt wie Halle aber, die keine offene Drogenszene hat, reicht es für ein permanentes Grummeln am Rande von Einschulungen, Jugendweihen und Geburtstagsfeiern. Ist das TMG nicht eine Drogenschule? Lungern um den Pausenhof nicht ständig Dealer herum?

Nein, heißt es beim nahen Polizeirevier. „Der zuständigen Sachbearbeitern für Drogendelikte liegen derzeit keine Erkenntnisse zu einer Drogenproblematik am Müntzer-Gymnasium vor“, versichert Polizeisprecherin Claudia Linsner. Aktuell gebe es keine Strafanzeigen zu Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, auch der rege Kontakt der Kollegen zum Schulleiter habe keine Hinweise auf Probleme ergeben.

„Aber wir sehen und riechen doch, was los ist“, beschreibt ein Vater, dessen Sohn zum weiterem Umfeld der Szene gehört. Über die „Platte“, wie die Schülerinnen und Schülern des TMG ihren außerhalb des Schulgeländes liegenden Treffpunkt nennen, ziehen immer wieder aromatische Schwaden aus selbstgedrehten Joints. Auch Ron bestätigt, dass einige der Hauptbeteiligten an früheren Drogenexzessen zwar abgegangen oder die Schule gewechselt hätten. „Das heißt aber nicht, dass nicht mehr regelmäßig gekifft wird.“

Mehrere Anzeigen in der Vergangenheit

Ein Problem, das nach Erkenntnissen von Torsten Klieme allerdings nicht nur das Müntzer-Gymnasium hat. „Überall, wo wir ältere Schüler haben, gibt es Vorfälle dieser Art“, beschreibt der Chef des Landesschulamtes. Dass das Müntzer-Gymnasium einen gewissen Ruf habe, ist Klieme ebenso bekannt wie Thomas Gaube, dem Schulleiter des TMG. Es habe in der Vergangenheit mehrere Anzeigen wegen Drogenkonsums am TMG gegeben, einmal sei auch wegen Drogenhandels ermittelt worden, sagt Klieme. Aber alle Fälle wurden wegen Geringfügigkeit ohne Strafverfahren eingestellt: Der Besitz von Cannabis bleibt in Sachsen-Anhalt straffrei, wenn die Menge zum Eigenverbrauch bestimmt und nicht größer ist als sechs Gramm.

Am TMG wird konsumiert, nicht gehandelt. Auch der ertappte Dealer war nach Angaben von Mitschülern ein Schüler. Professionelle Händler kennt keiner von ihnen. „Ich habe immer von Mitschülern gekauft“, sagt Ron, auch sein ehemaliger Schulkamerad weiß nur, dass es „jeder von jemand anderem hat, aber alle waren entweder Schüler oder Ex-Schüler“. Natürlich ist ihm klar, dass irgendwo dann doch eine Quelle sein muss, von der aus „irgendwelche Mafiatypen das Zeug verticken“. Niemand aus seinem Kreis habe aber je gefragt, wer das sei und woher der Stoff stamme. „Hauptsache, man hatte immer was.“

Lesen Sie hier, wie die Situation an anderen Schulen ist.

Dealer zielen auf Oberstufe ab

Damit ist das TMG kein Einzelfall. Aufgrund der Altersstruktur der Schüler und der Tatsache, dass Gymnasiasten meist über ein gewisses finanzielles Budget verfügten, seien weiterführende Schulen häufiger ein lohnendes Ziel für Dealer, erklärt Torsten Klieme. „Das ist nicht nur in den großen Städten so, sondern auch in eher ländlichen Gegenden.“ So sei Freyburg an der Unstrut schon länger ein Brennpunkt. „Aber es wäre falsch, zu sagen, an irgendeiner Schule gibt es diese Phänomene nicht“, glaubt Klieme.

Dass ausgerechnet dem Giebichenstein-Gymnasium in Halle der Ruf vorauseilt, eine „Drogenschule“ zu sein, wie ein Familienvater drastisch formuliert, der das TMG deshalb bei der Wahl der künftigen Bildungseinrichtung seines Sohnes von vornherein ausschloss, liege vielleicht nicht einmal daran, dass dort übermäßig viele Drogen konsumiert würden, mutmaßt der Landesschulchef. Selbst am katholischen Elisabeth-Gymnasium in Halle gebe es Schülerinnen und Schüler, die Cannabis rauchten, ohne dass das Stadtgespräch sei. „Ich denke deshalb, es könnte sein, dass die offensive Auseinandersetzung der Schulleitung des TMG mit diesem Problem öffentlich einen verzerrten Eindruck vermittelt.“

Lehrer erkennen Kiffer im Klassenraum

Im Gegensatz zu den Erfahrungen, von denen TMG-Schüler Ron berichtet, verfolge die Schulleitung eine Strategie, die auf Transparenz und einen offenen Umgang mit der Drogenfrage setze. „Die Lehrer sind informiert, die erkennen einen Schüler, wenn er stoned ist“, ist sich Klieme sicher. Und sei das der Fall, werde auch gehandelt.

Allerdings: Wo die Justiz die Waffen streckt, hat eine Schule nicht viele Optionen und die Schüler erzittern nicht eben vor Respekt. „Meine Mutter hat mich erwischt, das war das Schlimmste, was passieren konnte“, erinnert sich Ron. Dass er auffliegen und von der Justiz oder der Schulleitung bestraft werden könnte, daran habe er nie gedacht. „War doch nur ein Joint und den raucht jeder mal.“

Alle Aufklärungsveranstaltungen, die am TMG mit Unterstützung der Drogenberatungsstelle Drobs und Experten des Krankenhauses Bergmannstrost regelmäßig durchgeführt werden, haben an dieser Sicht auf die Cannabisfrage wenig ändern können. „Die Schüler wollen über ein Freigabe weicher Drogen diskutieren, nicht darüber, dass sie während Schulzeit dann immer noch verboten wären“, sagt Torsten Klieme.

Mit einer „Drogenvereinbarung“, die derzeit erarbeitet und beraten wird, sollen deshalb klare Regeln für alle Schüler formuliert werden. Das Papier solle den Umgang mit Verdachtsmomenten regeln, Hilfsangebote machen, aber letztlich auch Konsequenzen bei Verstößen verdeutlichen, heißt es an der Schule, die weg will vom falschen Image der „Drogenschule“. Ron ist auf dem weg schon ein Stück vorangekommen: In den wilden Jahren sei er bei den Noten ja so weitabgesackt, dass das Wunschstudium Soziologie ganz weit weggerutscht war. „Ich reiße mich jetzt zusammen und konzentriere mich auf meine Leistungen“, versichert er. Ganz aufgehört mit dem Rauchen hat er zwar nicht. „Aber ich habe es mittlerweile im Griff.“ (mz)

Cannabis (lat. «cannabis»: Hanf) ist der Sammelbegriff für die aus Hanf hergestellten Rauschmittel wie Haschisch (gepresstes Harz der Pflanze) und Marihuana (getrocknete weibliche Blüten).
Cannabis (lat. «cannabis»: Hanf) ist der Sammelbegriff für die aus Hanf hergestellten Rauschmittel wie Haschisch (gepresstes Harz der Pflanze) und Marihuana (getrocknete weibliche Blüten).
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