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  7. Anschlag in Halle: Anwohner von Synagoge über Alltag nach Attentat

Anschlag in Halle Die Straße des Anschlags: Wie ist es für Anwohner, neben der Synagoge zu leben?

In der Synagoge in der Humboldtstraße wollte der Halle-Attentäter ein Blutbad anrichten. Auf dem Gehweg erschoss er sein erstes Opfer. Welche Rolle spielt das heute noch für die Anwohner?

Von Denny Kleindienst Aktualisiert: 09.10.2024, 10:24
Nach dem Anschlag in Halle hatte die Polizei den Bereich vor der Synagoge in der Humboldtstraße abgeriegelt.
Nach dem Anschlag in Halle hatte die Polizei den Bereich vor der Synagoge in der Humboldtstraße abgeriegelt. Foto: Lutz Winkler

Halle (Saale)/MZ - „Krass, dass das schon fünf Jahre sind“, sagt Anett Oertel. Sie wohnt in der Humboldtstraße direkt neben der Synagoge. Danach gefragt, ob das Leben dort nach dem Anschlag in Halle ein anderes geworden ist, erklärt sie, dass sich für sie nicht so viel geändert habe.

„Im Alltag denke ich nicht ständig daran.“ Damals vor fünf Jahren sei das alles sehr präsent gewesen. Sie habe zu der Zeit viel mit ihrer Tochter darüber gesprochen. Ein Unterschied sei, dass sie seither viel stärker wahrnehme, wenn in der Synagoge Veranstaltungen stattfinden oder jüdische Feiertage begangen werden. Ihr Eindruck ist auch, dass die Jüdische Gemeinde sich vor dem Anschlag eher versteckt habe, „im Sinne von nicht auffallen“.

Am 9. Oktober 2019 hatte der für diese brutale Tat verurteilte Täter versucht, gewaltsam in die Synagoge in Halle einzudringen. Sein Ziel war es, die dort anlässlich des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur versammelten Menschen zu ermorden. Nur eine Holztür verhinderte das geplante Massaker. Auf dem Gehweg vor der Synagoge erschoss er daraufhin die Passantin Jana Lange.

Anschlag in Halle: Die Bilder im Kopf bleiben

Mehrere Anwohner der Humboldtstraße wollen sich – angesprochen auf den Anschlag – nicht äußern. Andere reden, wollen ihren Namen aber nicht öffentlich nennen. Einige davon waren Augenzeugen des Geschehens. „Natürlich haben sich diese Bilder eingebrannt“, sagt ein 43-Jähriger, der mit seiner Familie in der Häuserzeile gegenüber der Synagoge wohnt.

Die Humboldtstraße heute fünf Jahre nach dem Anschlag
Die Humboldtstraße heute fünf Jahre nach dem Anschlag
Foto: Denny Kleindienst

Er habe den Attentäter vom Fenster aus gesehen, habe auch gesehen, wie er Jana Lange erschoss. „Das vergisst man nicht.“ Den Notruf habe er damals bei der Feuerwehr abgesetzt, da er bei der Polizei nicht durchkam.

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„Geblieben ist der Container“, sagt der Mann. Der steht in der Humboldtstraße auf Höhe der Synagoge, nimmt eine ganze Fahrbahnseite in Anspruch, und ist rund um die Uhr mit Polizisten besetzt. Die Kritik, die der Anwohner zumindest anklingeln lässt, ist Alltagsgeschehen: Der Container sorge für Lärm – sei es durch das Schlüsselklappern der Beamten, durch die davor stehenden Polizisten oder den Schichtwechsel am Morgen.

Gefühl der Sicherheit

Doch vielleicht, so der Mann, schrecke dieser Polizei-Container ja auch Einbrecher ab. Zur Humboldtstraße sagt er: „Ich wohne nach wie vor gern hier. Und ich fühle mich nach wie vor sicher.“

Ein anderer Anwohner erzählt, er habe den Attentäter damals von seinem Fenster aus mit dem Handy gefilmt, die Aufnahmen später der Polizei übergeben. Weil er einen Knall hörte, habe er nach draußen geguckt. „Ich habe gesehen, wie er losgelegt hat.“

Was vom Anschlag bleibt, ist der ständig besetzte Polizei-Container.
Was vom Anschlag bleibt, ist der ständig besetzte Polizei-Container.
Foto: Denny Kleindienst

Und er habe damals auch Angst um seine Kinder gehabt. Später sah er die zugedeckte getötete Jana Lange auf dem Gehweg liegen. Für ihn sind die Opfer nicht anonym.

Ein ruhiges Viertel

Der 39-Jährige sagt, genau wie sie den Attentäter angesprochen habe, habe sie auch ihn früher angesprochen, wenn er auf der Straße war, um auszupacken und ihr offenbar im Weg war. Und Kevin Schwarze, der vom Attentäter im Kiez-Döner erschossen wurde, habe er bei Malerarbeiten am Haus gegenüber auf dem Gerüst gesehen.

Was sich seither verändert hat? „Wenn es draußen knallt, zuckt man eher mal zusammen.“ Zum Gedenktag an diesem Mittwoch werden seine Kinder auch wieder Blumen niederlegen.

Ein Nachbar aus demselben Haus erzählt, es sei schon komisch, nun diesen Polizei-Container in der Straße stehen zu haben. Doch man habe sich daran gewöhnt – und die Türen würden auch nicht mehr so laut geknallt. Der 59-Jährige sagt: „Es ist ein ruhiges Viertel mit viel Grün, gelassenen Leuten und ohne viel Hektik.“

Genervt von den Sperrungen

Manch ein Anwohner in der Humboldtstraße hat kein Verständnis dafür, dass zum Jahrestag nun wieder die umliegenden Straßen gesperrt und das Parken verboten werden. Und fühlt sich offenbar in seiner Ruhe gestört.

"Halle ist bunt" steht an einer Wand am Beginn der Humboldtstraße.
"Halle ist bunt" steht an einer Wand am Beginn der Humboldtstraße.
Foto: Denny Kleindienst

„Ich bin genervt von den Sperrungen“, sagt eine Gewerbetreibende. Sie werde ihren Laden am Mittwoch schließen, „auf eigene Kosten“. Eine Entschädigung bekomme sie dafür nicht. Weil die meisten ihrer Kunden mit dem Auto kämen, würde es sich für sie nicht lohnen.

Beginnend am Wasserturm, in dessen Nähe die Synagoge steht, zieht sich die Humboldtstraße noch ein Stück weiter bis zur Pauluskirche. Im unteren Teil der Straße wohnt Karl-Heinz Köhler. Dort, so der 87-Jährige, habe er damals vom unmittelbaren Geschehen nichts mitbekommen. Umso mehr aber von den darauffolgenden Diskussionen um das „Wieso, Weshalb und Warum“, wie er es nennt.

Auch der Rentner kannte Jana Lange – als bekanntes Gesicht im Viertel. „Schlimm, dass die Frau gestorben ist.“ Wenn er heute an der Synagoge vorbeigehe, denke er immer auch an den Anschlag. „Das ist nicht anders möglich.“