Die Stadt der Spitzel Die Stadt der Spitzel: So sah es in der Stasi-Zentale in Halle aus
Halle (Saale) - Zum 30. Jahrestag des Ministeriums für Staatssicherheit, 1980 war das, ließen sie es in Halle richtig krachen.
In der Bezirksverwaltung der Stasi in Halle-Neustadt war alles vorbereitet für eine rauschende Party. Girlanden schmückten den Festsaal und den persönlichen Speisesaal des Stasi-Bezirkschefs, sie hingen dort über der Bar.
Bar ist illustres Beispiel für ganz eigene Welt der Stasi
Der DDR-Geheimdienst ist längst Geschichte. Doch die Theke des Chefs, elegant geschwungen, mit hellem Holz verkleidet, existiert noch. Mit ihren Kugelleuchten und ihren runden Barhockern verkörpert sie den Zeitgeschmack der 1970er Jahre, in denen Bezirkschef Heinz Schmidt und sein Vorgänger Emil Wagner sie einbauen ließen.
Die Bar ist ein illustres Beispiel für die ganz eigene Welt der Staatssicherheit. Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde haben sie geborgen aus dem ehemaligen Hauptgebäude der Bezirksverwaltung in Halle-Neustadt.
Das langgezogene siebengeschossige Haus am Gimritzer Damm steht leer, seit Anfang 2016 das Finanzamt auszog. Wegen Bauschäden darf es nicht betreten werden. Dahinter verbarg sich zu DDR-Zeiten eine regelrechte „Stadt in der Stadt“ für die Stasi, wie Marit Krätzer es nennt. Die hochgewachsene blonde Frau leitet die Außenstelle Halle der Stasi-Unterlagenbehörde, die in einem Gebäude daneben sitzt.
Wie ging es zu in der Stadt der Spitzel?
In akribischer Kleinarbeit haben ihre Mitarbeiter in den vergangenen Jahren Akten ausgewertet, um zu rekonstruieren, wie es zuging in der Stadt der Spitzel. Die Ergebnisse stellen sie am Sonnabend bei öffentlichen Führungen vor.
Die Stasi-Bezirksverwaltung in Halle war, gemessen an der Zahl der Dienststellen, die größte in der DDR. Neben der Zentrale in Halle-Neustadt gab es 22 Kreisdienststellen. Das heißt, die Stasi hatte in jedem der 22 Landkreise im damaligen DDR-Bezirk Halle eine Außenstelle. Dazu kamen drei sogenannte Objektdienststellen in den Chemiebetrieben in Buna, Leuna und Bitterfeld. „Das Chemiedreieck war für die Stasi besonders interessant“, sagt Marit Krätzer, Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde in Halle.
Am Sonnabend, 24. März, kann das Außengelände der ehemaligen Stasi-Zentrale in Halle besichtigt werden. Um 14 und um 15.30 Uhr finden öffentliche Führungen statt. Treffpunkt dafür ist die Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde in der Blücherstraße 2 in Halle-Neustadt. Darüber hinaus sind zwischen 14 und 17.30 Uhr auch das Informations- und Dokumentationszentrum sowie das Archiv der Behörde, in dem die Stasi-Akten lagern, geöffnet.
Interessenten können bei dieser Gelegenheit auch einen Antrag auf Einsicht in ihre Stasi-Akte stellen. Dazu muss ein gültiges Personaldokument mitgebracht werden, wie die Behörde mitteilte.
Demnach gab es dort ein medizinisches Zentrum mit Ärzten, Zahnärzten und einer Röntgenabteilung, einen Friseur, eine Sauna, eine Sporthalle. „Es ging um kurze Wege für die Mitarbeiter“, sagt Peter Haensch, Sachgebietsleiter in der Stasi-Unterlagenbehörde. „Und man hatte die Leute so gleich besser unter Kontrolle.“
Das zeigt: Bei der Stasi waren sie so konspirativ, dass sie noch nicht einmal sich selber über den Weg trauten. Ein anderes Beispiel dafür ist ein - längst abgebautes - Vordach, das sich vom Eingang des Hauptgebäudes bis zur Straße spannte. „So konnten die Mitarbeiter oben in den Büros nicht sehen, wer unten ein und aus ging“, schildert Krätzer. Ein schwerer Fall von Paranoia? Die Behördenleiterin lächelt. „Es war eben eine Geheimpolizei“, sagt sie.
„Jeder wusste, wo die Stasi sitzt“
Wissen durfte in der DDR niemand von der Stadt der Spitzel. Eingezeichnet war das Gelände zwischen Gimritzer Damm, Selke- und Blücherstraße auf Stadtplänen damals nur als leere Fläche. Vergebens. „Natürlich wusste jeder in Halle, wo die Stasi sitzt“, sagt Krätzer. „Nur das Ausmaß dessen, was sich dort abgespielt hat, das war nicht bekannt.“
Mauer, Zäune, Stacheldraht. Wachtürme, Hunde. Die Stasi schirmte ihre Zentrale ab, so gut es ging. An der Fassade eines Seitengebäudes sind heute noch Beton-Ornamente vor die Fenster gebaut, damit die Mieter des gegenüberliegenden Wohnblocks nicht in die Büros blicken konnten. Kunst am Bau als Tarnung. Dabei wohnten in dem Block auch Stasi-Mitarbeiter.
Männer mit Maschinenpistolen bewachten Diensstelle
Im äußersten Fall hätten die Schlapphüte ihre Dienststelle sogar mit Waffengewalt verteidigen sollen. Lagepläne zeigen, wo in den Gebäuden sogenannte Feuerstellungen vorgesehen waren. Dort sollte jeweils ein Mann mit einer Maschinenpistole postiert werden.
„Zur Abwehr überraschender Angriffe auf die Bezirksverwaltung“ unterzeichnete der letzte Stasi-Bezirkschef, Generalmajor Heinz Schmidt, noch im November 1989 eine entsprechende Anweisung. Wenige Tage später fiel die Mauer.
Bittere Ironie der Geschichte: Einer der bewaffneten Posten hätte ausgerechnet in einem der Räume des heutigen Info- und Dokumentationszentrums der Stasi-Behörde stehen sollen.
Dort klärt das Amt über die Rolle und die Arbeit des Geheimdienstes in der SED-Diktatur auf. Es ist der Raum, in dem zu Dokumentationszwecken die Bar aus dem persönlichen Speisesaal des Stasi-Bezirkschefs aufgebaut wurde.
Auf Lager waren Kennzeichen aus allen DDR-Bezirken
Rundgang über das Gelände, auf dem auch einige alte Garagen und Lagerhallen stehen, betongrau, heruntergekommen. Dort war nicht nur der Geheimdienst-Fuhrpark geparkt.
Bei Bedarf wurden auch Autos umgespritzt und mit neuen Kennzeichen versehen - für konspirative Einsätze, wie Behördenchefin Krätzer berichtet. Auf Lager waren Auto-Kennzeichen aus allen DDR-Bezirken - Tarnung war alles.
Heute stehen die meisten Gebäude der Spitzel-Stadt leer. Eine Halle wird von einem Autohaus genutzt. In einem Flachbau, rosa getüncht, befindet sich eine Rettungsleitstelle - früher saßen dort die Ärzte der Stasi. Auch die Sporthalle ist noch in Betrieb.
Mitten auf dem Gelände öffnet sich ein großes Becken, etwa 15 mal 15 Meter im Quadrat - ein alter Springbrunnen. An einer Mauer am Rand des Grundstücks gammelt ein Wachturm vor sich hin.
Betrunkener Mann klettert auf das Stasi-Gelände
Wachposten, Mauern und Zäune zeigten allerdings nicht immer ihre Wirkung. Im August 1989 etwa kletterte ein betrunkener Mann nachts nach einem Besuch auf dem nahen Rummelplatz einfach über den Zaun auf das Stasi-Gelände. Dort wurde er festgenommen.
Im Verhör gab er später an, er habe einfach nach einer Abkürzung in Richtung der nahegelegenen Wohnhäuser gesucht. Und riet den verdutzten Geheimdienstlern, sie sollten doch mal die Höhe des Zauns überprüfen. Was aus dem Mann wurde, ist nicht bekannt. (mz)