Dank Chopin Hitlers Hölle überlebt
Halle/London/MZ. - Ziel war das nur 60 Kilometer entfernte Konzentrationslager Theresienstadt. Was es damit auf sich hatte, wusste man damals längst - und nicht nur in Prag. Doch Alice Herz-Sommer entkommt dem drohenden Tod im KZ, überlebt im Gegensatz zu Millionen Juden das Inferno und die Willkür von Hitlers Schergen. Jahre später wird sie sagen: "Chopin hat mich gerettet."
Mit mehr als hundert Konzerten spendet die heute 103-Jährige den Mithäftlingen Kraft und Hoffnung in einer Welt aus Hunger, Leid und Tod. "Die Musik rettete sie und ihre Seele", sagt Reinhard Piechocki. Der Sohn des früheren halleschen Stadtarchivars Werner Piechocki hat das Leben der Wahl-Londonerin aufgeschrieben.
Es ist die Geschichte der 24 Etüden von Frédéric Chopin, dieser schwierigen Klavierstücke, die geradezu als Paradestücke pianistischer Virtuosität bezeichnet werden. Nicht wenige Konzertpianisten weltweit schrecken vor den anspruchsvollen Stücken zurück. "Sie kann sie noch heute perfekt spielen. Ihr Ehrgeiz, diese Stücke zu lernen und somit ihr Können am Piano zu perfektionieren, hat ihr mit Sicherheit das Leben gerettet", so Piechocki, den seit vielen Jahren eine tiefe Freundschaft mit Alice Herz-Sommer verbindet. Über das Internet hat er sie vor Jahren ausfindig machen können. "Wer diese Frau erlebt hat, kann seine Faszination nicht mehr verbergen", schwärmt der 57-jährige Piechocki über die Frau, die als Kind sogar einmal auf den Knien von Franz Kafka wippen durfte. "Mit ihren 103 Jahren übt sie noch heute täglich zwischen 10 und 13 Uhr am Klavier", so der studierte Biologe und Publizist.
Dagegen spielen so banale Dinge wie das Essen für sie eine untergeordnete Rolle. Alle drei Tage kocht die alte Dame einen Topf Hühnersuppe, die sie mit Gemüse variiert. Spiritualität, meint sie seit ihren KZ-Erlebnissen, "ist für Menschen die eigentliche Verpflegung".
Am Freitag wird Piechocki sein im Münchner Droemer-Verlag erschienenes Buch "Alice Herz-Sommer. Ein Garten Eden inmitten der Hölle" im Händelhaus vorstellen. "Ich werde Ausschnitte lesen und auch Stücke am Klavier vortragen", so Piechocki. Der Sohn der halleschen Archiv-Legende Werner Piechocki hofft, durch sein Buch jenes Gefühl weitergeben zu können, das ihn selbst ergreift, wenn er mal wieder in London weilt und in der Nähe "dieser faszinierenden alten Dame" sein darf.
Aus "Alice Herz-Sommer. Ein Garten Eden inmitten der Hölle" liest Piechocki Freitag, 19.30 Uhr, im Händelhaus. Eintritt frei.