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Bürgerpreis Bürgerpreis: Heimat für Behinderte

Von Heidi Pohle 02.03.2004, 16:41

Halle/MZ. - Susanne Wichmann war schon mal nahe dran, alles hinzuwerfen. Und manchmal fragt sie sich in stillen Stunden, warum sie sich immer wieder diesem Stress aussetzt. Immerhin hat der AllgemeineBehindertenverband in Halle rund 140 Mitglieder und fünf Angestellte, dazu Zivis und Praktikanten. Und sie ist als Vorsitzende verantwortlich, muss Probleme bewältigen, um Finanzen kämpfen. "Doch die schönen Momente überwiegen, jene, in denen ich sehe, dass wir für viele Menschen Anlaufpunkt, manchmal sogar Heimat sind", sagt die 45-Jährige, die seit rund 15 Jahren im Rollstuhl sitzt. Nun ist sie gerade wieder für zwei Jahre an die Spitze des Vereins gewählt worden, so gut wie einstimmig.

Also wird Susanne Wichmann weiter fast jeden Tag von ihrer Wohnung in der Innenstadt von Halle nach Neustadt fahren, um die Geschicke des Vereins zu lenken und zu leiten. Dort treffen sich in einer ehemaligen Kindertagesstätte körperlich und geistig behinderte Jugendliche und Erwachsene mit Nichtbehinderten. Sie finden Ansprechpartner für alle Sorgen und Probleme und können ihre Freizeit verbringen - basteln, spielen oder gestalten. Es gibt eine Schwimm- und sogar eine Selbstverteidigungsgruppe. Wer will, kann an Vorträgen und Diskussionen teilnehmen. "Und mit eigenen Fahrzeugen bieten wir begleitende Unterstützung und Hauswirtschaftshilfe an", erklärt Frau Wichmann.

Die gebürtige Göttingerin, die vor vier Jahren nach Halle kam, ist mit ihrer Aufgabe gewachsen. Einfach sei es nicht gewesen, plötzlich Entscheidungen zu treffen und Menschen anzuleiten. "Das habe ich erst nach und nach gelernt", sagt Susanne Wichmann, die von Beruf Arzthelferin ist und eine erwachsene Tochter hat. "Ich weiß, was ich will", fügt sie selbstbewusst hinzu, "und bin recht hartnäckig, wenn ich ein Ziel verfolge." Längst sind die Zeiten vorbei, da sie nachts Probleme wälzte: "Heute kann ich, vor allem dank guter Freunde, abschalten und ruhig schlafen."

Wenn sich jedoch auf ihrem Schreibtisch zu Hause ungelesene Zeitschriften und Bücher stapeln, weiß sie, dass sie eigentlich ein wenig kürzer treten müsste. Mittlerweile sei sie durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit derart eingespannt, dass ihr manchmal fast ein wenig Freizeit fehlt. Zum Beispiel, um das Opernhaus-Abonnement nicht zu versäumen.

Auch der Alltag im Rollstuhl kostet Zeit und Kraft, will bewältigt sein. Ein wenig kann sie noch selbst machen. Aber ohne Pflegedienst und Hauswirtschaftshilfe, ohne Freunde geht es nicht. Hadern will sie nicht mit ihrem Schicksal, weil das nichts bringt, wie sie sagt. Es annehmen und das beste daraus machen, sich durch eine Aufgabe herausfordern lassen - das ist ein Motto nach ihrem Geschmack.

Und vielleicht ist sie ja auch deshalb erst kürzlich vom Behindertenverband Sachsen-Anhalts, der Landes-Dachorganisation, ausgezeichnet worden. Um den Preis gleich weiterzureichen - an die Mitarbeiter und den Vorstand ihres Vereins. Denn allein, so sagt sie, säße sie auf verlorenem Posten...

Vorschläge für den Bürger-Preis "Ein Esel, der auf Rosen geht" können noch bis Donnerstag, 4. März, mit Namen und einer kurzen Begründung, mit Telefon und Adresse des vorgeschlagenen Bürgers an die MZ-Lokalredaktion, Delitzscher Straße 65, 06112 Halle, geschickt werden, Fax 0345 / 565 45 20, E-Mail: [email protected].