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Bürgerkrieg Bürgerkrieg: Syrische Studenten dürfen in Halle bleiben

Von kathleen Bendick 05.04.2013, 19:58
Studentenpfarrer Johann-Hinrich Witzel
Studentenpfarrer Johann-Hinrich Witzel Privat/Archiv Lizenz

halle/MZ - Jeden Tag eine Schreckensmeldung aus der syrischen Heimat. Tote in der Familie. Keinen Kontakt mehr zu den Eltern. Und auch kein Geld mehr von Zuhause. Der Bürgerkrieg in der arabischen Republik droht inzwischen auch die Existenzen der syrischen Studenten in Halle zu zerstören. Die psychische Belastung wächst. Und immer öfter auch die Schulden. Ein Brief aus dem Bundesinnenministerium bringt nun eine kleine Erleichterung: Die Syrer dürfen in der Stadt bleiben und die Studenten Bafög beantragen.

Hilfe im richtigen Moment

Für den evangelischen Studentenpfarrer Johann-Hinrich Witzel ist es eine historische Stunde, als er am Mittwochmorgen seinen Computer anschaltet. Via E-Mail hat er die Mitteilung von Jan Zwakhoven, Abteilungsleiter Einreise und Aufenthalt der halleschen Stadtverwaltung, mit dem Erlass aus dem Innenministerium erhalten. „Demnach können die syrischen Studenten eine Aufenthaltserlaubnis bekommen“, liest Witzel vor. Die Grundlage ist der Paragraf 23 aus dem Aufenthaltsgesetz, der in Härtefällen das Bleiben gestattet. Außerdem erfährt Witzel in dieser E-Mail, dass die Studenten nun Bafög beantragen können. Monatelang hatten er und andere sich für eine finanzielle Unterstützung eingesetzt. „Arbeiten dürfen ausländische Studenten nur begrenzt. Dazu gibt es nur wenige Jobs. Deshalb hat beispielsweise die Gemeinde mit ihren Hilfsfonds geholfen. Nun sind die Töpfe aber auch erschöpft. Der Erlass kommt im richtigen Moment.“

Täglicher Kampf

Als Witzel die E-Mail liest, sitzt eine syrische Studentin neben ihm. Ihren Namen will sie aus Angst lieber nicht nennen. Auch wenn der Krieg räumlich weit weg scheint, für die Syrer in Halle ist er täglich präsent. Gedanken sind bei der Familie in Syrien. „Das letzte Mal habe ich vor sechs Monaten mit meinen Eltern gesprochen. Jetzt weiß ich nicht, was aus ihnen geworden ist“, sagt die 33-Jährige Archäologie-Studentin. Am Ende des Monats läuft ihr Visum ab. Behörden in Syrien arbeiten längst nicht mehr. Mit dem Erlass kommt nun die Sicherheit: „Jetzt weiß ich wenigstens, dass ich erst einmal bleiben kann“, sagt sie. Es ist eine kleine Erleichterung im täglichen Kampf.

Gespaltene Gesellschaft

Weil ihre Mutter Christin ist und ihr Vater zu den Aleviten - einer religiösen Sonderform des islamischen Glaubens - gehört, fürchtet sie, dass ihre Familie Opfer von Gewalt Andersgläubiger geworden ist. „Wir Syrer wollen auch in Halle keinen Kontakt untereinander. Die Geschehnisse spalten uns. Auch frühere Freunde haben mir gesagt, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben wollen, weil ich Christin bin“, erzählt die Studentin, die durch den Krieg zwei Cousins verlor. Sie verfolge den ganzen Tag die Nachrichten: Ich sehe mir Videos im Internet an. Das ganze Land wird verwüstet.“ Inzwischen schäme sie sich sogar, Syrerin zu sein und frage sich, was ein Archäologie-Studium nützt, wenn ein Bürgerkrieg eine der ältesten Kulturen zerstören kann. Als sie vor vier Jahren nach Deutschland kam, hätte sie nie gedacht, dass das passieren kann.

"Historischer Moment"

Die Studentin ist eine von vielen, die sich bei dem Studentenpfarrer Luft machen können. „Natürlich geht es mir danach auch manchmal schlecht. Ich kann nicht erklären, warum die Familie sterben muss. Aber hier können die Studenten sagen, worüber sie sonst schweigen müssen. Ich kann ein wenig die Last nehmen“, sagt Witzel.

Der Beschluss aus dem Innenministerium ist ein wichtiger Baustein. „Wer Bafög bekommt, hat immerhin die finanzielle Sicherheit, das Studium beenden zu können. Auch wenn es Betroffenen natürlich zunehmend schwer fällt, konzentriert zu lernen“, sagt Witzel. Aber es sei ein Anfang und für ihn auch ein „historischer Moment.“