Böser Wolf kommt als Grufti-Rocker
HALLE/MZ. - Denn neuesten Nachrichten zufolge ist das Comeback des alten Isegrim nach 100 Jahren nun auch in unseren Breiten gelungen. Und dann ist da ja noch jener innere, symbolische Wolf - der böse Wolf des Psychodramas: Die niederträchtige Versuchung, die ihr Opfer mit Haut und Haaren verzehrt. Die war nie ausgewandert und muss also hierzulande auch nicht erst von irgendwelchen Naturfreunden wieder angesiedelt werden.
Es ist also ein permanentes und hoch aktuelles Thema, dem das Thalia-Theater seine große diesjährige Weihnachtsmärchen-Inszenierung widmet: "Rotkäppchen" als Geschichte einer kreuzgefährlichen wie unumgänglichen Welterkundung, jenes Märchen der Brüder Grimm, das ebenso auf die frühkindlichen wie auf die pubertären Zitterpartien gemünzt ist - mit all ihren Verboten und Verlockungen.
Moritz Sostmann, inzwischen fast schon Hausregisseur, hat "Rotkäppchen" in einer sehr poetischen, revueartigen Fassung der dem halleschen Kindertheater inzwischen auch eng verbundenen Berlinerin Gabriele Hänel inszeniert. Dabei kann sich das in diesem Sommer wieder verjüngte Ensemble in einem von Klemens Kühn gebauten, bezaubernden Märchenwald sicher auf tragfähigem Boden bewegen. Und diesen Bonus setzt die Truppe dann auch prompt in Spielfreude um. Philipp Pleßmann als Wolf darf - bewaffnet mit einer E-Gitarre - als eine Art Gruftie-Rocker einen eindrucksvollen Verführer mimen, der von dem Rotkäppchen dann auch prompt mit den Augen verschlungen wird - ehe er selbst Gelegenheit bekommt, sich mit einer Ganzkörperverschlingung des Kindes samt seiner Großmutter zu revanchieren.
Conny Mews zeigt als Rotkäppchen mit Witz das spannende Wechselspiel der Gefühle jenes schwierigen Alters vor Beginn des Heranreifens. Und auch Enrico Petters setzt als Großmutter im Wald einige jener komödiantischen Akzente, für die sonst - und auch in diesem Fall - Thalia-Star Axel Gärtner zuständig ist. Als Jäger gibt er zugleich ein bisschen den Conférencier, bevor er für das Happy End zu sorgen hat.
Besonders einprägsam wird das Motiv des Vom-Wege-Abkommens vorgeführt. Dass Rotkäppchen - allen mütterlichen Warnungen zum Trotz - im Walde dennoch Blumen pflückt, hat dabei nicht nur mit den Überredungskünsten des Wolfs zu tun. Denn der Wald entfaltet gerade in dieser Inszenierung seinen ganz eigenen Reiz.
Da scharwenzeln zum Beispiel zwei Fliegenpilze durchs Unterholz, die in lustigen Reimen über den schlechten Ruf des Wolfs tratschen: "Der frisst doch alles, selbst giftige Pilze - gegebenen Falles". Und als Rotkäppchen auch noch den Blumen beim Wachsen zuschauen darf, bleibt ihr eigentliche keine andere Wahl mehr, als sich in diesem hinreißenden Wald richtig zu verlieren - schließlich muss sie ja auch irgendwann mal gefressen werden. Ohne dies gibt's nämlich auch nicht das schöne Gefühl, wieder wie neu geboren zu sein. Denn dafür muss man erst dem finsteren Schlund des Wolfs entrissen werden.
Weitere Vorstellungen an allen Adventssonntagen und am zweiten Weihnachtsfeiertag, jeweils 15 Uhr, im großen Saal in der Kardinal-Albrecht-Straße - mit anschließendem gemeinsamem Weihnachtsliedersingen. Vorstellung am Nikolaustag um 17 Uhr.