Für fünf Minuten verschwunden Attentäter von Halle: Weitere Einzelheiten zum Fluchtversuch von Stephan B. aus JVA Roter Ochse
Halle (Saale) - Der gescheiterte Fluchtversuch des Halle-Attentäters Stephan B. sorgt in Sachsen-Anhalt auch am Tag nach dem Bekanntwerden für Fassungslosigkeit.
„Das ist unfassbar, dass er es fast geschafft hat. Mir fehlen die Worte“, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorozki, am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Es sei kaum vorstellbar, was alles hätte passieren können, wenn er es geschafft hätte. Er erwarte, „dass sich das nicht wiederholt“.
Auch aus der Politik kamen entsetzte Reaktionen. „Wir sind schockiert, wie es zu dem Fluchtversuch in der JVA Halle kommen konnte“, teilte der rechtspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Jens Kolze, mit. Die Anstaltsleitung müsse erklären, wie es zu dem Vorfall kommen konnte und warum die Landesregierung erst Tage danach davon erfuhr.
Sondersitzung zum Fluchtversuch von Stephan B.
Das gehört auch für den rechtspolitischen Sprecher der Grünen-Fraktion, Sebastian Striegel, zu den zentralen Fragen. „Normalerweise hätte der Vorgang nach zwei Stunden auf dem Tisch der Ministerin liegen müssen“, sagte Striegel am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur.
Der Vorfall werfe ein schlechtes Licht auf Sachsen-Anhalt. Es sei Aufgabe des Landes und auch der Justizministerin sicherzustellen, dass Stephan B. der Prozess gemacht wird. „Das sind wir insbesondere den Betroffenen schuldig.“
Striegel und Kolze forderten beide, den Fluchtversuch im Rechtsausschuss aufzuklären. Dessen Vorsitzender Detlef Gürth (CDU) kündigte eine Sondersitzung für den kommenden Donnerstag an. Laut Gürth sind zunächst vor allem drei Fragen zu klären: Wie es zu dem Fluchtversuch kommen konnte, wie hoch die Gefahr eines Ausbruchs war und weshalb das Justizministerium erst Tage später davon erfuhr.
Stephan B. verschwand für fünf Minuten aus Blickfeld seiner Bewacher
Am Mittwoch war bekannt geworden, dass B. am Samstag während eines Hofgangs im Gefängnis Roter Ochse in Halle für etwa fünf Minuten aus dem Blickfeld seiner Bewacher verschwunden war. Er kletterte über einen rund dreieinhalb Meter hohen Zaun, lief in ein Gebäude und suchte dort vergeblich nach offenen Türen und Gullydeckeln. Anschließend fanden ihn die Beamten wieder, B. ließ sich widerstandslos in Gewahrsam nehmen. Das Justizministerium erfuhr erst am Dienstag davon und machte den Vorgang am Mittwoch öffentlich.
Erste Konsequenzen wurden noch am Mittwoch gezogen: Die zuständigen Beamten wurden in einen anderen Gefängnistrakt versetzt, in dem keine schweren Straftäter untergebracht sind. B. wurde außerdem unter Bewachung von Spezialkräften in das Hochsicherheitsgefängnis in Burg bei Magdeburg gebracht.
Das Justizministerium ist bereits mit der Aufklärung beschäftigt, prüft die Aufnahmen der Sicherheitskameras und befragt Beteiligte. Am Donnerstagvormittag ließ sich Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) in Magdeburg von der Gefängnisleitung über den Vorgang informieren.
„Wir fordern einen fairen Umgang mit den Beamten“
Am Mittwoch hatte es auch aus den Reihen der schwarz-rot-grünen Koalition Kritik an der Ministerin gegeben, da die Abgeordneten aus der Presse von dem Vorfall erfahren hätten. Kolze verbat sich am Donnerstag Kritik an der CDU-Ministerin. „Wir erwarten von unseren Koalitionskollegen, sich mit politischen Schuldzuweisungen zurückzuhalten.“
Vor Schuldzuweisungen warnte auch der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands. „Wir fordern einen fairen Umgang mit den Beamten“, sagte der Vorsitzende in Sachsen-Anhalt, Mario Pinkert, am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Die Hintergründe der Tat seien noch nicht bekannt, außerdem seien die Haftanstalten in Sachsen-Anhalt ohnehin chronisch unterbesetzt.
Das Land hat seit Jahren große Probleme, Stellen im Strafvollzug zu besetzen. Natürlich müsse der Fluchtversuch dennoch lückenlos aufgeklärt werden, sagte Pinkert. „So etwas darf nicht passieren“, so der Gewerkschaftsvertreter. (dpa)