Anschlag in Halle Stunden der Angst: Wie sich Studierende während des Anschlags in der Harz-Mensa in Halle versteckten
In der Harz-Mensa in Halle, unweit von den Anschlagsorten am 9. Oktober 2019, versteckten sich während des Attentats viele Studierende. Was sich damals in dem Gebäude abspielte.
Halle (Saale)/MZ. - An einem Mittwochmittag im Oktober 2019 rief Lothar Franke seine Frau an. Er sagte: Heute komme er nicht wie sonst um drei Uhr von der Arbeit nach Hause. Draußen sei ein Mann mit Gewehr unterwegs, der auf Menschen schießt. Sie solle sich keine Gedanken machen. Aber die Studenten hätten Angst, sie würden das Gebäude nicht verlassen wollen.
Das Gebäude, das ist die Harz-Mensa, gelegen im Stadtzentrum von Halle, zwischen Löwen- und Steintorcampus – und nur wenige Hundert Meter von jenen Orten entfernt, an denen vor fast genau fünf Jahren ein rechtsextremer Attentäter in Halle zwei Menschen erschoss.
Über die Smartphones dringt Nachricht vom Halle-Anschlag in die Mensa
Es ist ein Mittwoch, 12 Uhr, vor den Fenstern der Harz-Mesa hängt der fahle Oktobertag, im Foyer ein Bildschirm mit dem Angebot des Tages: Hacksteak Croatia mit Käsefüllung oder Nudelgratin mit Ratatouille. Ein Student verzieht enttäuscht das Gesicht. Andere, so wirkt es, sind mit der heutigen Auswahl zufrieden und stapfen freudig plaudernd zur Essensausgabe. In den Speisesälen herrscht ein lautes Stimmgewirr, das Geschirr klappert und klirrt, die Atmosphäre unter den Studierenden ist gelöst.
Lothar Franke, 70, der ehemalige Hausmeister der Harz-Mensa, sitzt in der ersten Etage an einer langen Tafel und erzählt vom Tag des Anschlags in Halle. Eigentlich sei es ein ganz normaler Arbeitstag gewesen. Mogens früh um sechs habe er die Ware angenommen, sie ins Lager gebracht und danach geprüft, welche Reparaturen im Haus anstehen. „Was man als Hausmeister eben so macht“, sagt Franke.
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Um elf Uhr sei das Team der Harz-Mensa, „die Brigade“, wie Franke es nennt, zum gemeinsamen Mittagessen zusammengekommen – ein kurzer Moment der Ruhe vor dem Sturm sei das immer gewesen, bevor das Team Studierenden, Dozenten und Professorinnen ab 11.30 Uhr bis zu 2.000 Mahlzeiten serviert hätten.
Inmitten des Mensa-Hochbetriebs, sagt Franke, habe sich an den Tischen plötzlich eine Nachricht verbreitet. Wie ein Lauffeuer. In der Nähe der Mensa sollen Schüsse gefallen sein, hieß es. „Es sind Studenten auf mich zugekommen und haben mir erzählt, was gerade draußen passiert.“ Ein Kollege aus dem Studentenwerk, das die Harz-Mensa betreibt, habe ihn dann angerufen und gesagt, er solle die Mensa sofort schließen. „Aber viele Studenten hatten Angst und wollten nicht mehr raus auf die Straße, die wussten durch ihre Handys viel schneller als ich, was draußen passiert.“
Gemeinsam mit einem Kollegen habe er zuerst Studierende, die vor der Mensa standen, ins Gebäude geholt und jene, die gehen wollten, rausgelassen. „Danach haben wir das Tor und alle Türen abgeschlossen“, sagt Franke.
Halle-Attentat: Kursierende Gerüchte schüren Angst
Eine der Studierenden, die in jenen Momenten vor der Mensa standen, war Lotti Brockmann, die mittlerweile in Wien wohnt. „Wir wurden eilig in das Gebäude geholt“, erzählt die 29-Jährige am Telefon. „Ich weiß noch, wie sich die Angst in mir ausbreitete, denn zu diesem Zeitpunkt war noch alles völlig unklar.“
Am 9. Oktober 2019, während des Anschlags, machten Falschinformationen in Whats-App- und Telegram-Gruppen die Runde. Kurzzeitig kam das Gerücht auf, es seien gleich mehrere Attentäter in der Stadt unterwegs.
Falschinformationen kursierten gar in Leipzig, als von Schüssen in der Messestadt die Rede war. „Die Gerüchte haben alles schlimmer gemacht“, sagt Brockmann, die sich mit mehreren Freundinnen ganz oben im Gebäude versteckte, in einem Raum, den Hausmeister Franke aufgeschlossen hatte. „Ich habe den Studenten gesagt, dass sie so lange hier bleiben können, bis ich Entwarnung gebe“, sagt Franke, den damals eine Frage umtrieb: „Was ist, wenn der Attentäter hier in die Mensa kommt?“
Eine Frage, die auch Brockmann durch den Kopf ging: „Als die ersten Vermutungen aufkamen, dass es ein rechtsextremer Terrorist sein könnte, hatte ich Angst, dass es einen Amoklauf in der Mensa geben könnte, weil Studierende allgemein als links gelabelt werden.“ Die Stimmung in der Mensa sei zu diesem Zeitpunkt gedrückt gewesen, „alle saßen am Handy, es war ganz still, beinahe wie eine Schockstarre“, sagt Brockmann.
Studierende bedanken sich bei Franke
Erst als sich über die Smartphones die Nachricht verbreitete, dass sich der Attentäter nicht mehr im Stadtgebiet von Halle aufhielt, habe sich das beklemmende Gefühl etwas gelöst, sagt Brockmann. Gegen 17 Uhr, dreieinhalb Stunden nachdem der Attentäter von Polizisten festgenommen worden war, habe sie die Mensa schließlich verlassen.
Der ehemalige Hausmeister Franke erinnert sich an die Studierenden, die sich am späten Nachmittag auf den Heimweg begaben. „Viele von ihnen haben sich bedankt, dass sie in der Mensa bleiben durften, selbst am nächsten Tag sind Studenten zu mir gekommen und haben Danke gesagt.“