Anatomie an der Uni Halle Anatomie an der Uni Halle: Das Rätsel um die 74 Kinderleichen
Halle (Saale) - Die Erleichterung ist Professorin Heike Kielstein deutlich anzusehen: Nach Jahren wissenschaftlicher Arbeit an Kinderleichen in der halleschen Anatomie ist jetzt ein wichtiges, emotional anrührendes Kapitel der Institutsgeschichte abgeschlossen: 74 in Phenol konservierte Kinderleichen sind nach langer Recherche- und Forschungsarbeit eingesargt worden. Was hat es mit ihnen auf sich?
Am Institut für Anatomie befanden sich konservierte Leichname von 74 Kindern, die im Zeitraum zwischen 1920 bis 1945 an das Institut gekommen waren und Jahrzehnte in Gefäßen im Keller lagerten. „Die Identität der Kinder konnten wir auch nach langer Forschungsarbeit nicht feststellen“, sagt Heike Kielstein, Direktorin des Instituts. Man wisse, dass mehr als 60 Kinder Früh- und Totgeburten waren, das Alter der Kinder liege zwischen einem und 14 Jahren.
Kinderleichen von Halle: Es fehlen wichtige Identifikationsmerkmale
„Es fehlen allerdings wichtige Identifikationsmerkmale, auch die Leichenbücher des Instituts aus der Zeit zwischen 1920 und 1930 sind verschollen“, so die Professorin. Lediglich kleine Zettel mit der Jahreszahl 1923 seien an den Kindern gefunden worden. „Eine Namenszuordnung war aber auch nach Recherchen in den Akten des Begräbnisamtes des Gertraudenfriedhofes nicht möglich“, sagt Heike Kielstein. Fest stehe aber, dass die sämtlich aus Halle stammenden Kinder zwar unterschiedliche Krankheiten hatten, aber nicht Opfer von Gewalt geworden waren.
Die Untersuchung der kindlichen Leichname sei eine große Herausforderung gewesen - zeitlich, aber auch emotional. „Es lässt einen nicht kalt, wenn man 74 kleine Leichname in Särge bettet“, fasst Heike Kielstein am Ende zusammen. Heute indes wird laut Kielstein in der Anatomie nicht mehr an Kinderleichen geforscht - eine Körperspende ist erst ab 18 Jahren möglich. Hinzu komme, dass schon kleinste, verstorbene Frühgeborene, sogenannte Sternenkinder, beigesetzt würden. „Es gibt heute ein anderes Verständnis vom Sterben als vielleicht noch vor 100 Jahren “, so Heike Kielstein.
Kinderleichen werden am 12. April auf dem Gertraudenfriedhof in Halle bestattet
Trotz aller Tragik habe die Arbeit aber auch ein positives Ergebnis: Nach einem Aufruf des Instituts haben sich drei Personen gemeldet mit der Anfrage, ob eines der verstorbenen Kinder möglicherweise in der eigenen Familiengeschichte eine Rolle gespielt haben könnte. „Das war zwar nicht der Fall, aber wir konnten auf das Register am Gertraudenfriedhof verweisen“, so Heike Kielstein. Dort seien die Suchenden in Sachen Familie fündig geworden.
Nach der Einäscherung der in fünf Erwachsenen-Särgen gebetteten toten Kinder werden diese nun am 12. April auf dem Gertraudenfriedhof bestattet - in fünf Urnen. „Gemeinsam mit der evangelischen Krankenhaus-Seelsorge wollen wir für eine würdevolle Bestattung sorgen“, so Heike Kielstein. Auch ein Chor wird auftreten - gebildet aus Mitarbeitern des Instituts. (mz)