Abderhalden-Straße Halle Abderhalden-Straße Halle: Wissenschaftler fordern Straßenumbenennung
Halle (Saale)/MZ - 2014 und 2015 wird das neue Geisteswissenschaftliche Zentrum an der Emil-Abderhalden-Straße nach und nach von Professoren und Studenten bezogen. Aber die Postadresse, an der die Wissenschaftler und ihr Nachwuchs dann zu erreichen sind, halten sie nicht für akzeptabel: „Das ist ein Skandal erster Ordnung, man schämt sich für diesen Namen“, sagt der Politikwissenschaftler Johannes Varwick und verweist auf die problematische nationalsozialistische Vergangenheit von Abderhalden.
Varwick hat eine private Initiative gestartet, die 43 Professoren und Wissenschaftler der Uni Halle mitunterzeichnet haben, und fordert darin den Stadtrat auf, die Straße umzubenennen. Und das soll bereits heute Thema im Hauptausschuss werden: Die Fraktion Bündnis90/Die Grünen wollen einen entsprechenden Antrag auf die Tagesordnung bringen, so Fraktionsvorsitzender Dietmar Weihrich.
Schon zu lange werde eine ergebnislose Diskussion über diese Frage geführt, obwohl längst alle Fakten bekannt und eindeutig sind, beklagt Varwick. 2010 hatte der Kulturausschuss eine Anfrage der Grünen zur Umbenennung vertagt - zuerst sollte eine von der Leopoldina in Auftrag gegebene Untersuchung zur Geschichte der Leopoldina in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgewartet werden, die auch auf das Verhalten Abderhaldens während der NS-Zeit eingeht. Doch diese, so Leopoldina-Sprecherin Caroline Wichmann, liegt wie geplant erst im Frühjahr 2014 vor.
„Der kritische Blick wurde verstärkt"
Rüdiger vom Bruch, emeritierter Professor für Geschichtswissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität, leitet die Studie und kann kurz vor Abschluss der Forschungen schon jetzt sagen: „Der kritische Blick auf Abderhalden, den es bereits vorher gab, wurde verstärkt.“ Unter anderem habe die Arbeitsgruppe unter seiner Leitung den Nachlass von Abderhalden gründlich durchgesehen. Dabei sei vor allem der vorauseilende Gehorsam Abderhaldens gegenüber dem NS-Regime deutlich geworden. Eine direkte Verbindung zu Menschenversuchen der Nationalsozialisten sei dagegen nicht belegbar.
Der gebürtige Schweizer Emil Abderhalden (1877-1950) war Physiologe, Mediziner und Biochemiker. Er lehrte ab 1911 an der Universität Halle und trat 1919 der liberalen DDP bei. Mitglied der NSDAP war er nicht, gehörte aber dem NS-Lehrerbund an.
Von 1932 bis 1950 war Abderhalden Präsident der Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der heutigen Nationalen Akademie der Wissenschaften, die letzten fünf Jahre allerdings nur noch formal an der Spitze. Abderhaldens Rolle im Nationalsozialismus ist ambivalent. Auf der einen Seite wird ihm vorgeworfen, dass er die nationalsozialistische Rassengesetze, Zwangssterilisation und die Euthanasie befürwortete. Auf der anderen Seite schlug er während seiner Amtszeit auch jüdische Forscher als Neumitglieder vor, darunter auch Albert Einstein.
Allerdings soll er sich 1938 widerstandlos dem Beschluss gefügt haben, jüdische Mitglieder aus der Akademie zu entfernen. Abderhalden ließ die Streichungen auf den Personalblättern aber mit Bleistift durchführen und nicht mit der für Urkunden üblichen Tinte. 1945 setzte Abderhalden sich in die Schweiz ab, wo er 1950 starb. Trotz seiner schon damals bekannten Rolle im Nationalsozialismus wurde 1946 eine Straße in Halle nach ihm benannt.
Auch sein Ruf als Forscher ist umstritten. Die von ihm angeblich entdeckten „Abwehrfermente“ (eine Art Antikörper bei Reaktionen mit Eiweißen) konnten nicht nachgewiesen werden - was mit Rücksicht auf seinen Ruf unter den Tisch gekehrt wurde.
Vom Bruch legt sich aber dennoch nicht fest, ob eine Umbenennung der Straße richtig oder falsch ist: „Wir präsentieren die Fakten, die Umbenennung ist eine politische Entscheidung.“ Er könne die Bedenken verstehen, sehe sich aber nicht als Richter - zumal schon vor zehn Jahren die kritische Sicht auf Abderhalden Stand der Wissenschaft war.
Ganz klar nimmt dagegen Uni-Rektor Udo Sträter Stellung: „Der Name Emil-Abderhalden-Straße ist kein Aushängeschild.“ Die private Initiative der Professoren zur Umbenennung hält er für „verständlich und nötig“. Zwar habe man sich mit der Leopoldina und der Stadt darauf geeinigt, die Untersuchung abzuwarten. Doch das werde nun einfach zeitlich knapp, wenn das Geisteswissenschaftliche Zentrum im kommenden Jahr bezogen wird. „Eine Umbenennung braucht einen längeren Vorlauf“, so Sträter. Deshalb sei es wichtig, dass jetzt reagiert werde.