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50 Jahre Halle-Neustadt 50 Jahre Halle-Neustadt: Schwarzendahl vom Bauverein im Gespräch

20.07.2014, 17:27
Bauvereins-Vorstand Guido Schwarzendahl über den Dächern von Ha-Neu
Bauvereins-Vorstand Guido Schwarzendahl über den Dächern von Ha-Neu Jens Schlüter Lizenz

Halle (Saale)/MZ - Die Wohnungsunternehmen haben Halle-Neustadt in 50 Jahren mit am meisten geprägt. Grund genug für die MZ mit den Chefs der vier größten Vermieter über Vergangenheit und Zukunft zu diskutieren. Mit Guido Schwarzendahl, Vorstand beim Bauverein Halle & Leuna, sprach Felix Knothe.

Herr Schwarzendahl, was hat Sie nach Halle-Neustadt verschlagen?

Schwarzendahl: Ich habe in Erlangen studiert und 1993 meine Magisterarbeit in Geografie über Halle-Neustadt geschrieben. Eine meiner Fragen war, wie eine Großsiedlung wie Halle-Neustadt mit den Zukunftsfragen umgeht. So kam ich hierher, um Interviews mit Neustädtern zu führen.

Und was war Ihr Eindruck?

Schwarzendahl: Die Menschen waren hochzufrieden mit den Wohnungen, hatten aber trotzdem riesige Erwartungen an ihre Vermieter. Fasziniert hat mich damals die große Verbundenheit mit dem Stadtteil und der ungeheuere Stolz von vielen auf die eigene Wohnung. Ich werde nie vergessen, wie jemand sich eine ganze Wand mit Bachkieseln ausgekleidet hatte.

Sie sind der zweitgrößte Vermieter in Neustadt. Wie groß war ihr Anteil am Schrumpfungsprozess seit der Wende?

Schwarzendahl: Wir sind aus der AWG Leuna hervorgegangen. Als ich 1994 angefangen habe, hatte unsere Genossenschaft in Halle- Neustadt rund 5 000 Wohnungen. Es gab kaum Leerstand. So konnten wir zum Beispiel Menschen, die sich scheiden lassen wollten und das Trennungsjahr vollziehen mussten, nur selten Wohnraum anbieten. Was das für menschliche Probleme und Sorgen hervorgerufen hat, kann man sich ausmalen. Aber die Situation hat sich sehr geändert. Heute haben wir 3 172 Wohnungen. Durch Verkäufe, zum Beispiel am Rennbahnring oder am Südpark, und durch Abrisse vor allem im früheren fünften und sechsten Wohnkomplex sind auch wir geschrumpft.

Für Bewohner ist der bevorstehende Abriss ihres Hauses immer ein tiefer Einschnitt. Wie gehen Sie damit um?

Schwarzendahl: Man muss sich klar machen, dass man dem Kunden ein Stück Heimat nimmt. Daher haben wir von Anfang an alle Betroffenen zu Gesprächen eingeladen, aber gleichzeitig klar gemacht, dass die Entscheidung fest steht. Es sollte erst gar keine Diskussionen nach dem Sankt-Florians-Prinzip geben, ob nicht das Nachbarhaus viel besser für einen Abriss geeignet ist. Wir haben Alternativen angeboten und sehr viel auf persönliche Beratung gesetzt. Das Ergebnis gibt uns recht: 80 Prozent der Kunden, die umziehen mussten, sind bei uns geblieben.

Haben sie noch weitere Abrisspläne?

Schwarzendahl: Im Moment definitiv nicht. Trotzdem schauen wir auf die weitere Entwicklung der Bevölkerung. Wenn sie negativ ist, kommt das Thema natürlich wieder auf die Tagesordnung.

Zurück zu den Zukunftsfragen. Da muss man sicherlich zuerst über das Demografieproblem sprechen.

Schwarzendahl: Sicherlich ist das ein Problem. Von früher zehn bis 15 Prozent Rentnerhaushalten bewegen wir uns mittlerweile auf ein Drittel zu, Tendenz weiter steigend. Dennoch sind das für uns wichtige Mieter. Die Generation ist umschwärmt und umkämpft. Also müssen wir versuchen die Ansprüche, die sich aus dem Älterwerden ergeben, zu erfüllen. Da sind Aufzüge das Standardproblem.

Wird in Zukunft jedes Haus Fahrstühle haben?

Schwarzendahl: Leider nein. Das Problem kriegen wir nicht gelöst. Die Zahl der älteren Haushalte wächst einfach zu schnell. Dennoch gibt es auch viele jüngere Menschen, die wieder nach Halle-Neustadt ziehen, von Studenten bis hin zu jungen, noch kinderlosen Menschen. Gerade diese müssen wir in Neustadt halten, wenn sie eine Familie gründen. Studenten werden zum Großteil immer nur Durchreisende sein.

Apropos Studenten. Sie haben jüngst sehr intensiv mit internationalen Architekturstudenten über Neustadt diskutiert. Viele haben deren Ideen für Wolkenträume gehalten. Was war Ihr Eindruck?

Schwarzendahl: Mir hat imponiert, wie sie auf diesen Stadtteil geschaut haben. Da habe auch ich viel lernen können. Zwei Beispiele: Die Studenten fanden, die Verbindung von Neustadt zu den umliegenden Stadtteilen könnte verbessert werden. Sie haben recht. Halle-Neustadt gehört mitten rein in die Stadt. Und umgedreht könnten auch in Neustadt bezahlbare Eigenheime entstehen. Warum nicht? Wenn es uns gelingt, dafür geeignete Lagen zu identifizieren, könnte das eine Stärkung für Neustadt sein, weil es das Spektrum an Wohnformen erweitert und damit für Jüngere attraktiv wird.

Und das zweite Beispiel?

Schwarzendahl: Das ist die ökologische Frage. Brauchen wir auch in Zukunft noch so viel Individualverkehr? Und entspricht es nicht ökologischer Vernunft, den Wohnflächen- und -volumenverbrauch einzuschränken? Es ist allemal ökologischer, mit zwei Personen in der 56-Quadratmeter-Standardwohnung in Neustadt zu wohnen, als in der 100-Quadratmeter-Altbauwohnung mit dreieinhalb Meter hohen Decken. Halle-Neustadt ist deutlich besser für die ökologischen Zukunftsthemen gewappnet.

Ist demnach die Idee vertikaler Gärten in den Hochhausscheiben auch nicht so abwegig, wie sie scheinen mag?

Schwarzendahl: Ich finde das absolut spannend. Man sollte die Idee nicht einfach als Spinnerei abtun. Sie hat ein Anrecht darauf, auf ihre Verwirklichungsfähigkeit geprüft zu werden - als Modellprojekt für Städte weltweit, in denen es einen Markt dafür gibt, weil eben Ackerflächen fehlen. Bei uns gibt es ihn nicht.

Wie wird sich Halle-Neustadt in den nächsten 50 Jahren entwickeln?

Schwarzendahl: Es wird Halle-Neustadt immer geben. Wie groß es sein wird, hängt davon ab, wie es uns gelingt, Halle-Neustadt attraktiv zu halten. Aber Neustadt wird auch ein 100-jähriges Jubiläum feiern, und vielleicht werden wir dann einige Bereiche tatsächlich als denkmalwürdig betrachten.