24-Stunden-Edeka in Halle 24-Stunden-Edeka in Halle: Nur keine Müdigkeit vorschützen

Halle (Saale) - Um 0.18 Uhr ist Peter Sandleben Vater geworden. 5.30 Uhr ist er schon wieder auf dem Weg zur Arbeit. Damit er mit seinen Kollegen anstoßen kann, schaut er schnell noch im Supermarkt vorbei und kauft zwei Flaschen Sekt. Es sind Geschichten wie diese, die den Edeka im Paulusviertel besonders machen: Das Geschäft hat von Montag bis Samstagabend rund um die Uhr geöffnet. Als Besucher im Feierabendstress bekommt man davon kaum etwas mit. Es herrscht hektische Betriebsamkeit im Markt in der Ludwig-Wucherer-Straße, an den Kassen stehen lange Schlangen. Gegen 20 Uhr wird es ruhiger. Die Fleischtheke ist leer geräumt. Auch die Regale beim Bäcker am Eingang offenbaren deutliche Lücken. Nun übernimmt die Nachtschicht.
Die Zeit zwischen 20 und 7 Uhr wird in diesem Supermarkt komplett von HalSecuri, vor allem als Wachdienst bekannt, abgewickelt. Die acht Mitarbeiter sitzen an der Kasse, befüllen die Regale und sorgen für die Sicherheit. Beeindruckend ist die personelle Kontinuität des kleinen Teams. Vorarbeiter Maik Schulz ist seit 2007 dabei, genau wie einige seiner Kollegen. Eine solche Verweildauer bei einem Arbeitgeber ist im Einzelhandel eher unüblich.
Das Geschäft leert sich zunehmend. Die Einkäufe werden kleiner, Alkohol, vor allem Bier, und Tiefkühlpizzen sind nun die beliebtesten Produkte. Gegen 23 Uhr bildet sich plötzlich eine lange Schlange und ein zweiter Kassierer muss eingreifen. „Das ist nicht ungewöhnlich“, erklärt Vorarbeiter Maik Schulz. „Im Sommer ist es sogar noch extremer. Wenn die Leute nach dem Grillen noch mal einkaufen kommen, müssen wir sogar nachts um 2 Uhr manchmal zwei oder drei Kassen öffnen“, sagt er. In dieser Nacht bleibt der Andrang jedoch die Ausnahme.
Doch woher kommt eigentlich die Idee, den Edeka rund um die Uhr zu öffnen? „Ursprünglich war das mehr ein Nebeneffekt“, erklärt Inhaber Thomas Eckert. Und weiter: „Nachdem ich den Markt übernahm, stellte sich ziemlich schnell heraus, dass wir aufgrund der Enge nicht zu normalen Zeiten die Regale auffüllen konnten. Deshalb haben wir 2005 begonnen, dies nachts zu tun. 2007 fiel dann das Ladenschlussgesetz, und in Berlin gab es bald darauf Märkte, die rund um die Uhr geöffnet hatten.“ Nach einer Besichtigung in Berlin war Eckert überzeugt, dass solch ein Laden auch in Halle funktionieren könnte. „Dadurch, dass wir nachts auffüllen, sind die Mitarbeiter ja sowieso da. Das Team wurde um einen Wachmann und einen Kassierer aufgestockt - und dann ging es los“, erklärt er die weiteren Schritte.
Der Supermarkt gehört Thomas Eckert seit 2001. Seit 2007 öffnet der Laden auch in der Nacht.
Gut 50 Beschäftigte arbeiten am Tag im Markt. Hinzu kommen acht Mitarbeiter in der Nachschicht.
Das Sortiment umfasst zwischen 12.000 und 15.000 Artikeln. In den Anfangstagen waren es lediglich 800 Produkte.
Über 300 Salate werden täglich im Keller frisch zubereitet.
Wer kommt nachts einkaufen?
Bleibt die Frage, wer eigentlich mitten in der Nacht einkaufen geht? „Ziemlich verschiedene Leute“, weiß der Inhaber. „Da ist man überrascht, wer uns besucht. Natürlich junge Menschen, die von einer Party kommen und sich noch Nudeln kochen wollen. Aber auch Leute, die in Schichten arbeiten und deshalb tagsüber nicht zum Einkaufen kommen.“ Auch weit nach Mitternacht merkt man Kassierer Martin Schneider die Müdigkeit nicht an. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet der gelernte Einzelhandelskaufmann in der Nachtschicht. „Natürlich war es am Anfang eine Umstellung“, erklärt Schneider, „aber nach zwei bis drei Monaten hatte sich mein Körper daran gewöhnt.“ Inzwischen kann er sich einen Wechsel zurück zur Tagarbeit kaum noch vorstellen. Viele Einkäufer kommen laut Schneider regelmäßig, man kennt sich. „Da ist zum Beispiel einer, der grüßt mich immer mit 'Na, meine Sonne'“, weiß Schneider zu berichten. Negative Vorfälle gibt es dagegen kaum. „Irgendwann wollte mal einer mit dem Fahrrad hier durchfahren und einkaufen, da musste unser Wachmann einschreiten. Aber so etwas ist die absolute Ausnahme.“
Das Verhältnis zwischen einigen Kunden und den Mitarbeitern ist so eng, dass die Verkäufer zu Weihnachten sogar Geschenke bekommen haben. Und wie ändert sich das Privatleben, wenn man ständig nachts arbeitet? Auch da sieht Schneider kein Problem: „Ins Kino gehen kann ich natürlich nur am Wochenende. Aber das ist bei vielen Leuten, die am Tag arbeiten, auch nicht anders.“
Ein seltsamer Zauber
Während Martin Schneider erzählt, wechselt in der Kühlabteilung eine Wand langsam ihre Farbe. Auch die Beleuchtung ist gedimmt. „Wenn man im Laden steht, fällt einem das gar nicht so auf, aber wer von draußen aus der Dunkelheit kommt, freut sich schon, dass das Licht nicht so grell ist wie am Tag“, erklärt Thomas Eckert. Durch das manchmal fast intime Verhältnis zwischen Kunden und Verkäufern sowie durch die Beleuchtung entsteht eine besondere Atmosphäre, die man wohl kaum in einem Supermarkt erwartet. Mitten in der Nacht fühlt man sich wie in einer kleinen Parallelwelt. Vor der Tür scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Dagegen sind die Menschen im Laden immer in Bewegung.
Weniger Kunden um 4 Uhr nachts
Zwar ist der Laden nie komplett leer, doch zwischen 3 Uhr und 4 Uhr schauen nur noch vereinzelt Kunden vorbei. Einige von Ihnen sind auch schon wieder wach. So erklärt gegen 4.30 Uhr ein Mann: „Ich konnte nicht mehr schlafen. Und da ich mit meinen Enkeln nachher Plätzchen backen will, dachte ich, dann kann ich auch gleich die Zutaten holen.“
5 Uhr kommen die ersten Angestellten der Tagschicht, und fortan erscheinen im Minutentakt neue Gesichter im Pausenraum. Die Neuankömmlinge wirken in der kleinen Welt der Nachtschicht wie Fremdkörper und bewegen sich doch ganz selbstverständlich darin. Bald darauf beendet die Nachtschicht ihre Arbeit, während sie für alle anderen erst beginnt. Auch für Peter Sandleben, den frisch gebackenen Vater.
Auf Seite 2 können Sie den Liveticker der Nacht im Edeka nachlesen.
Die Idee für die "Nacht im Edeka" stammt von der Onlinejournalismus-Studentin Evi Lemberger. Gemeinsam mit MZ-Mitarbeiter Oliver Leiste entwickelte sie ein Konzept, um die Ereignisse und kleinen Geschichten, die nachts in einem Supermarkt entstehen, in einem Liveticker zu bündeln. Als Plattform für den Ticker wurde der Kurznachrichtendienst Twitter gewählt. Über den Account von Oliver Leiste wurden die Nachrichten verbreitet, andere Nutzer hatten zudem die Möglichkeit, sich einzubringen. Herausgekommen ist nicht nur eine Chronik der Nacht, sondern auch eine Beschreibung, wie sich die Protagonisten im Laufe der Nacht fühlten und wie sich ihre Wahrnehmung veränderte.
(mz)

