Stasi-Unterlagen-Behörde Stasi-Unterlagen-Behörde: Rekonstruierte Akten aus Eisleben informieren über Schicksale

Eisleben - Die Staatssicherheit in Eisleben hatte alles im Auge. Ob die ausländischen Delegationen zum Lutherjahr 1983, deren Telefone überwacht wurden, einen aufsässigen Pfarrer aus Ahlsdorf oder das Blütenfest in Seeburg - alles wird in der Kreisdienststelle, die sich in einer Villa in der Wilhelm-Beinert-Straße 2 befindet, feinsäuberlich dokumentiert. Als es aber im Herbst 1989 ungemütlich für die DDR-Geheimpolizei wird, beginnt eine großangelegte Aktenvernichtung. Doch es gelingt nicht, alle Spuren heimlich zu beseitigen.
Hunderte Aktenordner und 60 Säcke mit zerrissenen Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit werden in Eisleben gerettet. Ein Teil der Schnipsel ist inzwischen von der Projektgruppe „Manuelle Rekonstruktion“ der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Berlin (BStU) wiederhergestellt worden.
Kathrin Rabe ist seit dem Vorjahr in der Außenstelle der Behörde in Halle damit beschäftigt, diese neu zusammengefügten Dokumente zu sichten und für die Nutzung aufzubereiten.
2.700 Akten der Stasi sind bislang wieder zusammengesetzt
„Dazu braucht man auch eine Menge Geduld“, räumt die Diplom-Archivarin ein. Sie stammt aus dem Mansfelder Land und kennt also die örtlichen Gegebenheiten und auch viele Personen, die in den Dokumenten auftauchen. „Das ist für uns von Vorteil“, so Archivleiterin Angela Friedenberger. Nach ihren Angaben sind bislang insgesamt 2.700 Akten rekonstruiert.
Es kann schon vorkommen, dass Kathrin Rabe dabei auch auf Leute stößt, die sie persönlich kennt oder kannte. Nach außen dringt davon nichts. Es herrscht strengste Verschwiegenheit. „Die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen sind bei uns oberstes Gebot“, versichert Friedenberger.
Demnach werden nur Auskünfte an Personen gegeben, die selber einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt haben. Oder an Wissenschaftler und Journalisten, die zu Forschungs- beziehungsweise Recherchezwecken in bestimmte Unterlagen der Stasi einsehen wollen, hieß es.
Dass dies überhaupt noch möglich ist, liegt vor allem an jenen beherzten Bürgern, die im Herbst 1989 der Aktenvernichtung bei der Stasi Einhalt geboten. „In Eisleben stoppten mutige Bürger schon am 4. Dezember 1989 den Abtransport der Unterlagen. „Sie waren die Ersten im Bezirk Halle“, weiß Marit Krätzer, die Leiterin der Außenstelle für die Stasi-Unterlagen in Halle.
Stasi-Bezirksverwaltung in Halle wurde 1989 von Bürgern besetzt
Sie erinnert daran, dass daraufhin auch in der Saalestadt die Stasi-Bezirksverwaltung am Gimritzer Damm einen Tag später besetzt wurde. In Berlin stürmten Demonstranten dagegen erst am 15. Januar die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße. Da ist die Aktenvernichtung in der ehemaligen Friemannschen Villa in Eisleben schon längst eingestellt worden.
Die Kreisdienststelle in Eisleben verfügte nach Erkenntnissen der Stasi-Unterlagenbehörde im Oktober 1989 über 44 hauptamtliche Mitarbeiter, 18 davon führten inoffizille Mitarbeiter (IM). 250 solcher Mitarbeiter davon wurden von der Stasi in Eisleben geführt. Für das Jahr 1990 sollten weitere 30 IM geworben werden.
Mit Unterstützung gelang es beispielsweise, im Jahre 1989 eine Person zu inhaftieren und eine Ausreise zu verhindern. Das ergab die Auswertung der gefundenen Akten und Säcke. Alle erhaltenen Eisleber Stasiakten, die in Halle lagern, ergeben aneinandergereiht, eine Länge von 17,4 Metern. Die dreifache Menge konnte laut Außenstellenleiterin Marit Krätzer in zerrissenem Zustand gesichert werden. Nur ein Viertel davon wurde bisher wiederhergestellt und aufbereitet.
Das geht aus Angaben hervor, die der später abgesetzte Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit in Eisleben im Februar 1990 zu Protokoll gegeben hat. Demzufolge wurde bereits am 2. November 1989 in der Kreisdienststelle der Stasi damit begonnen, Unterlagen durch den Reißwolf zu jagen. In der Nacht vom 11. zum 12. November, also zwei Tage nach dem Mauerfall, haben Anwohner bemerkt, wie vor der Stasi-Villa ein Lastwagen mit Hänger beladen worden ist.
In den Akten, die im Archiv in Halle liegen, findet sich dazu auch ein Schreiben, das Evelyne Leipoldt am 27. November an die Kreisredaktion der damaligen SED-Zeitung „Freiheit“ gerichtet hat. Darin schildert sie, wie um Mitternacht „ein großer Möbeltransporter mit viel Getöse“ vor das Gebäude fuhr. „Was, so frage ich, sollte im Dunkel der Nacht herein oder heraus getragen werden?“, fragt sie.
Das weiß man aus den Dokumenten der Stasi
Schüler einer 12. Klasse der EOS „Martin Luther“ in Eisleben hatten damals sogar mit Erlaubnis des Direktors eine Mahnwache an der Villa in der Beinert-Straße organisiert. „Weil aus einem Schornstein des Stasi-Gebäudes Rauch aufstieg, vermuteten sie zu Recht, dass Akten verbrannt würden“, so Krätzer, die aus Leipzig kommt und dort bei den legendären Montagsdemos im Oktober 1989 auf dem Ring der Messestadt mitgelaufen ist.
Als die Luther-Schüler auf einem Mauersims Kerzen aufgestellt und angezündet hätten, sei ein Stasi-Mann aus dem Gebäude gekommen und habe sie aufgefordert, die Kerzen zu entfernen. Eine Schülerin habe daraufhin erwidert: „Aber wenn Sie Akten verbrennen, wird’s doch auch schwarz ...“, heißt es dazu in einer neuen Broschüre der Bundesbehörde in Halle unter dem Titel „Stasi in Sachsen-Anhalt“, die gerade erschienen und nun für fünf Euro bei der BStU erhältlich ist.
Missglückte Flucht aus der DDR wurde rekonstruiert
Darin findet sich auch ein Dokument zur missglückten Flucht eines Eislebers aus dem Jahre 1973. Es befand sich in einem der Säcke mit Schnipseln, die in Eisleben sichergestellt und jetzt rekonstruiert werden konnten. Der damals 43-jährige Joachim K., der in der Forschungsabteilung der Leunawerke arbeitete, wollte bei einem Urlaub mit einem gefälschten Pass die bulgarisch-griechische Grenze passieren. Er wurde geschnappt und soll sich tags darauf in Untersuchungshaft angeblich selbst durch eine Giftdosis das Leben genommen haben. Er sei sofort beerdigt worden.
Die Eisleber Stasi-Dienststelle informierte eine Woche später dessen Mutter. „Sie bat um die Überführung ihres Sohnes und musste erfahren, dass eine Exhumierung erst nach sieben Jahren erlaubt sei“, berichtet Marit Krätzer, die von Hause aus Bibliothekarin und Diplom-Verlagskauffrau ist.
Für sie sind auch deshalb die wiederhergestellten Unterlagen aus Eisleben „ein Glücksfall“, wie sie sagt. Dadurch könne man manches Schicksal auch heute noch aufklären.
Akten der Stasi aus Hettstedt und Sangerhausen lagern in Halle
Auch aus Hettstedt und Sangerhausen lagern Akten aus den Stasi-Dienststellen im Archiv in Halle. Was in beiden Städten nicht gefunden wurde, sind Säcke mit zerrissenen Unterlagen so wie in Eisleben. Vermutlich, weil dort mehr Zeit war, um die Aktenberge auf anderem Wege zu vernichten.
So haben Augenzeugen berichtet, dass in der Berg- und Rosenstadt karrenweise Unterlagen von der Stasi in der Marienstraße 2 in den nahe gelegenen VEB Raumkultur geschafft und dort verbrannt worden seien. „Nur die Blechteile der Ordner blieben übrig“, so ein Sangerhäuser Bürger. Er hat in der vergangenen Woche einen neuen Antrag auf Akteneinsicht abgegeben. „Es lohnt sich, auch jetzt noch nachprüfen zu lassen, ob die Stasi einen im Visier hatte “, sagt die Behördenchefin in Halle.
Stasiunterlagen aus Mansfeld-Südharz werden ständig weiter erschlossen
Schließlich würden die Bestände aus der Region ständig weiter durchforstet und erschlossen. Und manchmal stößt man auch durch Zufall auf Unterlagen. So wie im Jahre 2012, als der neue Eigentümer der Stasi-Villa in Eisleben in einem Bunker noch Reste von alten Akten entdeckte. Sie waren allerdings nicht verwertbar. Im Gegensatz zu den in kleine Teile zerrissenen Akten, die noch in etlichen Säcken aus Eisleben in Berlin lagern.
Dort wird ein virtuelles Verfahren entwickelt, mit dem irgendwann auch diese Überbleibsel der DDR-Geheimpolizei wieder lesbar sind. Dann könnte Archivarin Kathrin Rabe in der Außenstelle in Halle weitere Mappen mit Stasi-Unterlagen füllen. „Es gibt für uns noch eine Menge zu tun“, ist sich ihre Leiterin Marit Krätzer sicher. (mz)
Die Stasi-Unterlagen-Behörde aus Halle ist auch zum Sachsen-Anhalt-Tag am 10. September in Sangerhausen mit einem Infostand vertreten.



