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Früheres Heimkind sucht nach Grund der Zwangseinweisung

Von ANTONIE STÄDTER 02.06.2010, 17:31

EISLEBEN/HETTSTEDT/MZ. - Die Frage nach dem Warum quält Heinz Müller (Name geändert) am meisten. Nie vergessen wird der Mann aus einem kleinen Ort im Kreis Mansfeld-Südharz jenen Tag, an dem ihn zwei fremde Frauen von der Schule abholten. "Sie sagten mir, dass ich zur Kur soll - und in drei Wochen wieder abgeholt werden würde", erinnert sich der 65-Jährige. Das tatsächliche Ziel war ein Spezialkinderheim in Leipzig-Störmthal, wo schwer erziehbare Kinder und Jugendliche untergebracht wurden. Dort wurde er eingekleidet, bekam eine Nummer zugeteilt und durfte das Gelände fortan nicht unbeaufsichtigt verlassen, erzählt er. Damals war er elf Jahre alt. "Ich habe erst nach und nach mitbekommen, wie lange ich dort bleiben würde." Drei Jahre. Warum, das weiß er bis heute nicht.

Es ist ein Thema, das er viele Jahre mit sich herumgetragen hat. "Ich habe es kaum jemandem erzählt, weil ich mich geschämt habe", sagt er heute. Als das Bundesverfassungsgericht vorigen Sommer entschied, dass eine strafrechtliche Rehabilitierung von rechtsstaatswidrigen Heimunterbringungen zu DDR-Zeiten möglich ist und das Thema in der Öffentlichkeit verstärkt diskutiert wurde, beschäftigte es auch ihn wieder sehr. Er recherchierte in Archiven, allerdings ohne Erfolg. Es gibt kaum Informationen über seine Zeit im Heim - allein ein Vermerk, wann er dort war.

Sein Antrag auf Rehabilitierung wird derzeit bei der zuständigen Kammer am Landgericht Chemnitz geprüft. Doch auch dort hat man bisher keine weiteren Informationen gefunden. "Die Chancen stehen schlecht", sagt Michael Wildt von der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau. Bislang würden allein Aufenthalte in dem Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau in Rehabilitierungsverfahren anerkannt. "Für die Unterbringung in einem Spezialkinderheim gibt es nur eine Entschädigung, wenn man nachweisen kann, dass man aus politischen Gründen eingewiesen wurde. Das können aber die wenigsten." Jedoch stehe ein Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg zu einem anderen Fall aus. Bei einer Rehabilitierung könnten ehemalige Heimkinder nicht nur eine einmalige Entschädigung bekommen, sondern auch die SED-Opferrente beantragen, falls sie länger als sechs Monate im Heim waren. Derzeit werden die Reha-Kammern der Gerichte mit Anträgen überschüttet. 1989 hatte es in der DDR 38 Spezialkinderheime und 32 Jugendwerkhöfe gegeben.

"Die Spezialkinderheime zeichneten sich dadurch aus, dass sie eigene Schulen hatten und die Kinder kaum Kontakt zu draußen hatten", so Wildt. "Es waren Zwangsaufenthalte. Wenn ein Kind erst einmal drin war, konnten es weder die Eltern noch andere dort rausholen - bis das sogenannte Erziehungsziel erreicht war." Auch Heinz Müller hatte in den drei Jahren im Heim keinen Kontakt zu seiner Familie. "Mein letzter Ausweg war dann die Lehre, um dort wegzukommen", sagt er. Die Erinnerungen an diese Zeit werden immer bleiben. Genauso wie die Frage nach dem Warum.