Fall Helbra: Große Empörung bei Demonstration Fall Helbra: Große Empörung bei Demonstration: "Der kleinen Maus wurde Würde genommen"

Eisleben - Nachdem Lilly Adler das Mikrofon wieder abgegeben hat, geht sie noch ein paar Schritte nach hinten. Vorbei an den Menschen, die bereits dem nächsten Redner der Demonstration zuhören. Dann, mit etwas Abstand zur Menge, überkommen sie die Gefühle.
Adler vergräbt das Gesicht in ihrer Felljacke. Ihre Augen werden wässrig. „Es tut mir so leid für die Kleine“, sagt sie. Und: „So etwas kann man einem Kind doch nicht antun.“
200 Menschen versammeln sich vor Amtsgericht
Lilly Adler ist nicht die einzige Teilnehmerin der Demonstration am Donnerstagvormittag, die ihren Emotionen freien Lauf lässt. Einigen der etwa 200 Menschen, die sich auf dem Parkplatz vor dem Amtsgericht in Eisleben (Mansfeld-Südharz) versammelt haben, stehen Tränen in den Augen. „Keine Gewalt gegen Kinder“ - so lautet der Titel der Veranstaltung. Ihr Anlass ist jedoch ein konkreter Fall: das Familiendrama in Helbra, das viele der Demonstranten noch immer anrührt und schockiert.
Am Montag vergangener Woche war ein achtjähriges Mädchen von der Polizei aus der Grundschule geholt und zu seiner Mutter gebracht worden. Das Kind wehrte sich heftig, schrie und weinte. Zuvor hatte der Vater des Mädchens das Aufenthaltsbestimmungsrecht an die Mutter verloren. Dem Beschluss des Amtsgerichts Eisleben war er jedoch nicht nachgekommen. Ein Gerichtsvollzieher setzte das Urteil deswegen mit Jugendamt und Polizei durch.
Die Demonstranten machte am Donnerstag vor allem das Vorgehen der Behörden fassungslos. „Der Einsatz war die reinste Katastrophe“, sagt Annika Wiebrecht. Die Frau - lila Haare, lila Schuhe - hat sich als erste das Demo-Mikrofon geschnappt. Sie empört sich darüber, dass für die Maßnahme die Kinder der anderen Grundschulklassen weggesperrt wurden - und trotzdem viel mitbekamen.
Sie kritisiert das Jugendamt, das nicht einschritt, als die Achtjährige sich lautstark wehrte. Und sie macht sich über die Folgen für das Mädchen Gedanken: „Der kleinen Maus wurde die Würde genommen, und diesen Tag wird sie so schnell nicht vergessen können“, sagt Wiebrecht. Und dann wird sie grundsätzlicher. „Das hat nichts mehr mit Gesetzen zu tun - hier wurden Gesetze gebrochen.“
Video hat 150.000 Aufrufe
Auf dem Parkplatz vor dem Amtsgericht prallen auch Welten aufeinander, die sich anscheinend weit voneinander entfernt haben. Da ist die Justiz mit ihren Paragrafen und Verfahrenswegen. Und da sind die 200 Menschen, die alle das Video von der Übergabe gesehen haben, das online bereits über 150.000 Aufrufe hat.
Sie haben gesehen, wie eine Achtjährige schreit und weint, sich gegen den angeordneten Zwang stemmt. „Egal ob es einen Gerichtsbeschluss gab oder nicht“, sagt eine Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte, „wenn das die Konsequenz ist, kann es nicht richtig sein“.
Auch der Vater der Achtjährigen verfolgt Demonstration
Dieses Unverständnis der Demonstraten fasst Isolde Jänicke, eine weitere Rednerin, in einer Mahnung zusammen: „Es kann nicht funktionieren im Land, wenn die Behörden gegen die Menschen arbeiten“, sagt die Frührentnerin, die aus der Nähe von Leipzig angereist war.
Anschließend nahm auch Demo-Organisator Tobias Jung, zweifacher Vater aus Eisleben, das Mikrofon zur Hand und äußerte einen Wunsch, der von den Anwesenden mit großem Beifall unterstützt wurde: „Gebt dem Kind eine Stimme. Lasst das Kind entscheiden.“
Auch Roger E., der Vater der Achtjährigen, verfolgte die Kundgebung vor dem Amtsgericht. Eine Rede hielt er nicht. Gegenüber der MZ erklärte er, dass sein Anwalt probiere, Umgangszeiten für ihn mit seiner Tochter zu ermöglichen. „Vergangene Woche habe ich sie das letzte Mal gesprochen“, sagt Roger E.. Seitdem wisse er nicht mehr, wie es ihr geht. (mz)