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Eisleben Eisleben: Singestunde unterm Paradies

Von BURKHARD ZEMLIN 28.10.2011, 11:41

EISLEBEN/MZ. - Heute begeben wir uns in die Eisleber Neustadt zum Breiten Weg. "Ich denke, dass jeder Eisleber die Gaststätte ,Bräcklein' kennt", vermutet Helmut Fritsche und fügt hinzu, dass es früher einen Wirt Fritz Bräcklein gab. "Später war auch Werner Ringleib Gastwirt, der dann zur Wendezeit aufhörte, da bekam die Wirtin Henriette Walther ihre Chance. Sie taufte die Gaststätte auf den Namen ,Singvogel' um. Der Anlass geht auf den alten Hausbesitzer zurück. Er führte auch eine Zeitlang die Kneipe und begrüßte jeden Gast mit den Worten: ,Na, du Singvogel!' Das hat sich dann so eingebürgert."

Mittlerweile gehört das Haus einem Engländer, weiß Rolf Keil. Helmut Fritsche: "Für mich war die Gaststätte zu DDR-Zeiten Stammlokal. Auf den Tischen stehen Kerzenhalter und Aschenbecher, die mit einem Vogel verziert sind. Auch an der Garderobe findet sich ein Vogelmotiv. Die Wirtin Walther war immer sehr nett."

Legendäres Bauernfrühstück

Nach Angaben von A. Gottschalk hat die Wirtin zwar schon das Rentenalter erreicht, möchte aber ihr Lokal nicht missen. "Sie meint, was soll ich den ganzen Tag zu Hause?", so A. Gottschalk. Sie braucht die Leute um sich herum. 1981 habe sie hier angefangen, damals noch bei der Konsumgenossenschaft, bevor sie sich selbstständig machte und das Lokal privat weiter führte.

"Der Gang zum ,Singvogel' war Kult", erinnert sich Larissa Keitz und fährt fort: "Frau Festner machte uns das legendäre Bauernfrühstück. Meine Verlobungsfeier, Geburtstage und viele nette Abende, nach einem Kinobesuch, nahmen bei Frau Jahn, auch Mutter Jahn genannt, einen fröhlichen Ausklang."

Elfriede Witte kennt die Gaststätte noch als die von Bräcklein und schreibt, dass sich unter dem Paradieserker der Singverein, in dem auch Erich Münde mit sang, zu seinen Proben traf.

Die Gaststätte als Treffpunkt für Singestunden, das könnte ein Hinweis darauf sein, weshalb später der Name "Singvogel" gewählt worden ist. Denn schon 1934 war Bräcklein Stammlokal des 1857 gegründeten Männergesangvereins "Arion", allerdings nur für kurze Zeit, weil sich der Chor schon bald mit der Volksliedertafel zusammenschloss und damit so groß geworden war, dass Proben bei Bräcklein aus Platzgründen nicht mehr möglich waren. Aber denkbar wäre, dass auch andere Chöre bei Bräcklein zu Gast waren.

Bis 1923 wurde Bier gebraut

Dr. Eberhard Eigendorf ist seit 1949 hinter den Fenstern des Paradieserkers zu Hause, der mit Szenen aus dem Alten Testament geschmückt ist, zum Beispiel der Vertreibung aus dem Paradies. Eigendorf: "Als meine Eltern dort einzogen, lebte Frau Bräcklein noch. Einer ihrer Söhne war später Oberbürgermeister von Helmstedt. Frau Bräcklein hat erzählt, dass die Brauerei 1923 in der Inflation eingegangen sei. Sie stand hinter dem Haus und soll um das Jahr 1860 gebaut worden sein, doppelt unterkellert. Die genaue Bauzeit ist noch nicht erforscht."

Während dieses Hinterhaus nach der Wende abgerissen worden ist, blieben die mächtigen Brauereikeller erhalten, sie wurden abgedeckt. Eigendorf erinnert daran, dass es hier Pläne zum eines Altenheims gegeben habe, doch der Kreistag war der Ansicht, dass es in der Stadt schon genug solcher Einrichtungen gebe und empfahl als Standorte den ländlichen Raum.

Oberleitung der Elektrischen

Reinhard Knüpfer verweist auf die Oberleitungen der Elektrischen Kleinbahn, die auf den Bild zu erkennen sind. Sie lassen darauf schließen, dass das Foto in der Zeit bis 1922 entstanden sein muss. Später kann es nicht sein, weil der Fahrdraht schon bald nach Einstellung der Bahn entfernt worden ist. Und das Fritz Bräcklein die Brauerei erst 1920 übernommen hat, wie Rolf Keil schreibt, lässt sich das Bild ziemlich genau datieren.

Ältestes Wohnhaus der Neustadt

Rolf Keil, Monika Arnhold, Beate Kulpe und Adrien Barowsky unternehmen einen Exkurs in die Geschichte hat. Rolf Keil: "Das Haus wurde 1574 erbaut und ist somit das älteste erhaltene Wohnhaus der Neustadt. Mit seinem mit Rankenwerk geschmücktem ,Paradieserker' gilt es als eines der bedeutendsten Renaissancehäuser weit und breit. Der Amtsschösser (Finanzbeamter) Joachim Tempel ließ das Haus für sich erbauen. In der Heimatliteratur wird es daher auch als ,Tempelsches Haus' bezeichnet. Im Erdgeschoss befindet sich etwa seit 1875 eine Gaststätte. Im hinteren Teil des Hauses gründete etwa 1872 C. Hagemann eine Brauerei, die 1920 von Fritz Bräcklein übernommen wurde."

Rolf Keil: "Als ich 1955 nach Eisleben kam, kehrten wir gern in dieser Gaststätte ein, die als Konsumgaststätte, aber vor allem als ,Bräcklein' unter den Bergschülern bekannt war. Es gab immer preiswertes und schmackhaftes Essen."

30 Euro gewonnen

Monika Arnhold aus Eisleben hat 30 Euro gewonnen. Das Geld liegt im MZ-Redaktion Eisleben, Sangerhäuser Straße 1-3, bereit.