Behörde verweigert größere Wohnung
Eisleben/MZ. - Sie hat ein schwerwiegendes Problem auf dem Herzen und wenig Aussicht auf Erfolg. Diesmal hat sie einen Begleiter an ihrer Seite. Sie bat Veit Wagner, den Vorsitzenden der neu gegründeten Initiative "Bürger in Not", um Hilfe. Der Mann lebt selbst von Hartz IV und weiß, in welcher Situation man da steckt. "Wir sind keine Bittsteller. Für uns gelten Gesetze, nach denen wir leben müssen. Und für Ämter gelten dieselben Gesetze. Sie müssen danach arbeiten." Das sagt er Frau S., bevor er festen Schrittes ins Arge-Gebäude eintritt.
Im Fall von Valentina S. arbeitet die Behörde aus Wagners Sicht nicht nach dem Gesetz. Als Beistand der Familie S. will er das diesmal unmissverständlich klar machen. Valentina S. zieht gemeinsam mit ihrem Mann fünf Kinder groß. Zwei Kinder brachte sie aus der ersten Ehe mit, zwei er, und ein gemeinsames Kind verbindet das Paar. Zu siebt lebten sie bis Februar dieses Jahres in einer Wohnung, die 70 Quadratmeter groß war. Jahrelang. Pro Person zehn Quadratmeter.
Mindestens drei ihrer Kinder benötigen besondere Fürsorge. Der zwölfjährige Sohn ist verhaltensauffällig und wird an einer Sonderschule unterrichtet. Zwei Mädchen leiden unter Allergien. Das Leben auf engsten Raum trug sein übriges dazu bei, den Stress in der Familie nicht kleiner werden zu lassen. "Man hat mir damit gedroht, mir die Kinder zu entziehen, wenn ich mich nicht um anderen Wohnraum bemühe." Das will die Mutter natürlich nicht. Sie will ihre Kinder bei sich haben, will ihnen, trotz Hartz IV, doch ein lebenswertes Zuhause bieten.
Man kann nicht sagen, dass das Foyer der Eisleber Arge nicht einladend aussehen soll. Der Glaspavillon mit seinen Sitzgelegenheiten will ein bisschen an das Wartezimmer eines Arztes erinnern. Die hierher kommen, haben eine schlimme Krankheit. Sie haben, aus welchen Gründen auch immer, keine Arbeit, und dass schon so lange, dass ihre Diagnose jetzt "Hartz IV" lautet. Darüber spricht man nur leise. Veit Wagner, der Hüne, der in den nächsten Kampf ziehen will, wirkt deplatziert an diesem Ort. Nur Valentina S. wird unwillkürlich leiser wie alle im Raum. Auch die Kinder sitzen stumm neben den Erwachsenen.
Die Mitarbeiterin, die Valentina S. empfängt, ist jung und wirklich nett. Sehr zuvorkommend. Nur eben leider nicht mit dem speziellen Fall vertraut, weil sie nur ihre Kollegin vertritt. Sie entschuldigt sich auch für ihre Unkenntnis. Valentina S. schildert ihr Anliegen, berichtet, was sie in den vergangenen Wochen unternommen hat. Erzählt, dass ihr von den Mitarbeitern der Arge aufgetragen wurde, sich um eine 5-Raum-Wohnung möglichst bei der Wohnungsbaugesellschaft bemühen. Die Mutter erfährt dort, dass das Unternehmen nicht über 5-Raum-Wohnungen verfügt. Sieben Angebote legt sie vor, die abgelehnt werden. Das achte Angebot will sie nicht mehr ausschlagen. Sie entscheidet sich für diesen Wohnraum. Es ist ein altes Haus. Es hat 120 Quadratmeter Wohnfläche. Dort zieht die siebenköpfige Familie ein.
Nun könnte alles gut sein, wenn die Wohnung für Eisleber Verhältnisse nicht fünf Quadratmeter zu groß wäre. Deshalb soll die Familie die überschüssigen fünf Quadratmeter selbst bezahlen. Das sind 39 Euro und 25 Cent pro Monat. Eine Menge für einen Haushalt, der auf staatliche Unterstützung angewiesen ist. Im Mansfelder Land gilt - so wie übrigens in allen Landkreisen Sachsen-Anhalts - für eine siebenköpfige Bedarfsgemeinschaft eine Obergrenze von 115 Quadratmetern Wohnfläche. Das steht so im Sozialkatalog, der in jedem Jahr neu vom Sozialausschuss des Landkreises verabschiedet wird. "Daran haben wir uns zu halten", so Klaus Thormann, stellvertretender Leiter der Arge.
"Eine siebenköpfige Bedarfsgemeinschaft darf sogar 135 Quadratmeter Wohnraum beanspruchen", sagt Wagner und verweist auf ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs. Nach dieser Lesart liegt die Familie mit ihrem 120 Quadratmeter großen Wohnraum im gesetzlichen Limit. Die Arge müsste alle Kosten tragen.
Frau S. wird bei ihrem nächsten Termin bei der Arge deutlich gemacht, dass sie eigenmächtig in eine viel zu große Wohnung umgezogen ist und deshalb auch nicht auf die Unterstützung der Behörde zählen dürfe. Valentina S. ist Russlanddeutsche. Sie spricht zwar sehr gut deutsch, alle Floskeln des Behördendeutschs sind ihr jedoch nicht geläufig, deshalb wird sie bei Behördengängen von ihrer Schwägerin begleitet. Trotz Dolmetscherin versteht Valentina S. letztlich nur Bahnhof. Sie unterzeichnet ein Protokoll, in dem sie zum Beispiel darauf verzichtet, dass die Arge die Kaution, die Umzugskosten und die Renovierungskosten bezahlt.
Wagner ist nicht kleinlich in seiner Wortwahl und sagt stets geradeheraus, was er meint. Nämlich: "Das ist eine Sauerei, was hier gemacht wird." Damit meint er sowohl das Protokoll, das eine Verzichtserklärung ist, als auch die Aussage der Arge-Mitarbeiter, die Wohnung sei zu groß für die siebenköpfige Bedarfsgemeinschaft. Veit Wagner wird laut im nächsten Büro, in das Valentina S. geschickt wird. Er verlangt das Protokoll. Er droht mit rechtlichen Schritten. Valentina S. wird ganz klein auf ihrem Stuhl. Ob das mal gut geht, sagt ihre Haltung. Nicht dass sie nicht auch wie eine Löwin für ihre Kinder kämpfen würde. Aber heute wäre sie eigentlich still geblieben.
"Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund für den Umzug der Familie", sagt Thormann. "Sie hat schließlich schon vorher in der kleinen Wohnung gelebt." Das Argument, 70 Quadratmeter seien zu wenig für sieben Personen, lässt Thormann so nicht gelten: "Es hängt auch vom Zuschnitt einer Wohnung ab ob sie geeignet ist."
Zwei Wachleute treten zur Seite und mustern Frau S. und ihre Begleitung, die wieder ins Foyer gehen. Die Anspannung fällt erst von der fünffachen Mutter, als sie vor der Tür steht. Mit zitternden Fingern nestelt sie eine Zigarette aus der Verpackung. Ihre Hände sind kalt. Ihr Gesicht ist blasser geworden. "Was soll ich nun tun?", fragt sie ihre Schwägerin, die ihr wie eine Freundin Halt gibt. Für den Vereinschef von "Bürger in Not" ist ganz klar, was jetzt unternommen werden muss: "Das lassen wir uns von der Arge nicht gefallen. Wir gehen in Widerspruch. Wenn das nichts nützt, klagen wir bis zur letzten Instanz."
(Der vollständige Name von Valentina S. ist der Redaktion bekannt.)