1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Eisleben
  6. >
  7. Auf Spurensuche in Eisleben: Auf Spurensuche in Eisleben: Wie sich der Erfolg der AfD erklären lässt

Auf Spurensuche in Eisleben Auf Spurensuche in Eisleben: Wie sich der Erfolg der AfD erklären lässt

Von Alexander Schierholz 28.05.2019, 08:00
Wahl in  Eisleben
Wahl in  Eisleben Maik Schumann

Eisleben - Am Morgen danach erhält die Geschäftsfrau eine Nachricht von ihrer Tochter aus Berlin. Sie könne jetzt nicht mehr nach Eisleben kommen, schreibt die Tochter. Sie habe Angst um sich und ihr Kind. Wegen der Wahlergebnisse der AfD. „Das ist doch absurd“, sagt die Geschäftsfrau und schaut herausfordernd. „Aber sie meint das ernst!“

AfD-erfolg in Eisleben: Was ist da bloß los?

Die AfD hat bei den Europa- und den Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt am Sonntag abgeräumt. Beispiel Eisleben, Kreis Mansfeld-Südharz.

In der 23.000-Einwohner-Stadt ist die Partei auf fast allen Ebenen durchmarschiert. Europawahlergebnis: 29,1 Prozent, ein Plus von 21,8 Prozentpunkten gegenüber 2014. Kreistagswahlergebnis: 21,9 Prozent, aus dem Stand. Jeweils stärkste Partei. Bloß im Stadtrat landen die Rechtspopulisten auf Rang 2 hinter der CDU. Das aber mit 19,9 Prozent, ebenfalls aus dem Stand.

Zum Nachlesen: Liveticker vom Wahlabend: Die Ereignisse von Europa- und Kommunalwahlen

Kommunalwahlen 2019: Hier finden Sie die aktuellen Ergebnisse auf einen Blick

Europawahl 2019: Hier finden Sie die Ergebnisse in Sachsen-Anhalt auf einen Blick

Was also ist da los? Die Suche nach Antworten führt in den Laden der Geschäftsfrau am Marktplatz von Eisleben. Eigentlich möchte sie nichts sagen, ihren Namen nennen schon gar nicht. „Politik ist heikel. Es ist als Einzelhändlerin schon so schwer genug.“

Flüchtlingsthema beschäftigt die Menschen in Eisleben

Aber dann redet sie doch: „Kommen Sie mal dienstags her und hören Sie sich an, was die Leute in der Schlange an den Marktständen erzählen!“ Von Kanaken sei da die Rede, die alles bekämen, während für die Deutschen nichts übrig bleibe.

Das Flüchtlingsthema, das die AfD groß gemacht hat, hier spielt es offenbar immer noch eine Rolle. „Das beschäftigt die Leute nach wie vor“, sagt die Geschäftsfrau. „Ich verstehe ja, dass jemand frustriert ist, wenn er sein Leben lang gearbeitet hat und dann 700 Euro Rente bekommt.

Aber man kann doch nicht alle, die zu uns kommen, in einen Topf werfen!“, sagt sie. Und setzt nach: „Ich kenne auch Deutsche, die kriminell und Sozialschmarotzer sind.“ Aus ihrem Geschäft fällt der Blick auf Luther auf seinem Denkmalsockel. Der Reformator schaut unbestimmt in die Ferne, als könne er sich die Wahlergebnisse auch nicht recht erklären.

Hinter Luther erhebt sich das spätgotische Rathaus, hinter dem wiederum die Andreaskirche thront. In Eislebens Hauptkirche hielt Luther seine letzten vier Predigten, hier wurde er nach seinem Tod aufgebahrt, vor der Überführung nach Wittenberg. So erzählt es Karla Wellnitz, die hinter dem Büchertisch steht und Kirchenbesucher empfängt.

Wird AfD von denen gewählt, die sich abgehängt fühlen?

Wellnitz, die auch Gästeführerin ist, erzählt noch eine andere Geschichte, die mit Luther zu tun hat. Und mit Flüchtlingen. Häufig träfen sich Migranten auf dem Marktplatz, weil sie dort freies WLAN haben. „Manchmal sitzen sie vor dem Lutherdenkmal, wenn ich mit einer Besuchergruppe vorbeikomme. Wenn ich dann darum bitte, dass sie beiseite gehen, stehen sie auf. Oder sie gehen gleich von sich aus.“ Deutsche Jugendliche dagegen blieben sitzen. „Und werden noch frech.“

Spätestens seit der Bundestagswahl 2017 gibt es – neben der Flüchtlingsfrage – einen weiteren gängigen Versuch, hohe Wahlergebnisse der AfD zu erklären: Die Partei werde gewählt von denen, die sich abgehängt fühlten. Nicht verstanden und nicht gehört von der Politik.

Aber abgehängt? Woran bemisst sich das? Momentaufnahme aus Eisleben am Montagmittag: Direkt am Markt steht nur ein Laden leer. Drumherum reihen sich Modegeschäfte, ein Goldschmied, Optiker, ein Wäsche- und ein Lederwarenladen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Der Fleischer wirbt per Aufsteller für ein Zwei-Kilo-Fleischpaket („Familienpack“) für 8,99 Euro. Aber nur am Mittwoch und am Freitag. Auf dem Platz herrscht reges Kommen und Gehen.

„Eigentlich geht es uns doch gut“, sagt voller Überzeugung eine Rentnerin, die aus der nahegelegenen Post kommt. Die ehemaligen Bergleute im Mansfelder Land jedenfalls bekämen alle eine gute Rente. „Ich denke, viele meckern aus Prinzip“ - und setzten ihr Kreuz bei der AfD. Widerspruch kommt später aus der Andreaskirche: „Den ehemaligen Bergleuten mag es ja gut gehen“, meint Besucherbetreuerin Karla Wellnitz. „Aber was ist denn mit denen, die gleich 1990 arbeitslos geworden sind und deren Rente nun entsprechend gering ausfällt?“ Solche Perspektivlosigkeit treibe manchen zur AfD, vermutet sie.

„Der Streit um die Straßenausbaubeiträge könnte manchen schon verleitet haben, AfD zu wählen.“

Eine andere Frau spricht von „Frustwählern“. Die mit CDU, SPD oder den Linken nichts mehr anfangen könnten oder ihnen nichts zutrauten. Und es dann eben mal mit der AfD probierten. Bloß: Frust worüber? Da erzählt sie von den Bänken beim Kaufland, auf denen ständig Jugendliche sitzen und Flaschen zerschlagen würden. „Der Vandalismus, die Schmierereien, da müsste das Ordnungsamt mal durchgreifen!“ Ein Mann wagt noch einen weiteren Erklärungsversuch: „Der Streit um die Straßenausbaubeiträge könnte manchen schon verleitet haben, AfD zu wählen.“

Am Ende, so kann man sich das nach einer Weile auf dem Eisleber Markt zusammenreimen, ist es eine Mischung aus solchen lokalen Problemen, Angst vor und Ablehnung von Ausländern und generellem Frust, die der AfD Zuspruch verschafft haben. Oder, wie die Geschäftsfrau es ausdrückt: „Denken Sie doch mal dran, was den Leuten nach der Wende alles versprochen worden ist!“ Sie erinnert an Kanzler Kohl, der anlässlich der Währungsunion 1990 beteuert hatte, es werde im Osten keinem schlechter, aber vielen besser gehen.

So ist es nicht gekommen. „Da hat sich seitdem eine Menge aufgestaut“, meint die Händlerin. Das entlade sich jetzt, befeuert von einer AfD, die mit Forderungen etwa nach sicheren Grenzen oder der klaren Abgrenzung vom Islam offenbar bei vielen Wählern einen Nerv treffe. Nach dem Motto: „Die sagen genau das, was ich schon lange denke!“

Bei Andreas Kühne können sie damit nicht landen. Der Rentner winkt ab und verzieht das Gesicht, als der Name AfD fällt. Das einzige, was er mit Anhängern der Partei gemeinsam hat: Er sei „überhaupt nicht einverstanden mit Frau Merkel“. Aber deswegen AfD wählen? „Die haben aus der Geschichte nichts gelernt“, sagt er, „gar nichts! Mein Großvater war im KZ, der würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, was hier los ist!“ Dann stapft er weiter, seine Frau wartet. (mz)