Hochzeit in Dessauer Seniorenresidenz Zwei Senioren lernen sich in der Seniorenresidenz in Dessau kennen und lieben.

Dessau - Es sind rührende Szenen: eine Hochzeit in der Seniorenresidenz Marthahaus in Dessau. Sie ist 58 Jahre alt und sitzt im Rollstuhl, er ist 65. Durch das Haus an der Bernburger Straße schallt am Samstag „Atemlos“ von Helene Fischer. Gerhard Berkholz fordert zum Tanz auf, er fährt seine Frau auf die Tanzfläche. Sie fassen sich an den Händen und schunkeln im Takt, dann gibt es einen Kuss. Am Freitag hatten sie sich vor dem Standesamt in Dessau das Ja-Wort gegeben. Kennengelernt hatten sie sich in dem Seniorenheim. Für beide ist es die erste Hochzeit - und auch die erste Liebe.
Er suchte ihre Nähe
Und es ist eben eine, die anders ist. Nicht nur wegen des Alters. Beide sind geistig in unterschiedlichem Grad behindert, Annette Berkholz ist durch den Rollstuhl zusätzlich eingeschränkt. Aber das Paar ergänzt sich: Er ist kräftig, sie hat den Überblick. „Ich wusste gleich, dass ich in Annette verliebt war“, sagt der Senior. Liebe auf den ersten Blick sei es gewesen, als er sie im vergangenen Jahr traf. Da lebte er schon seit 2012 in der Dessauer Seniorenresidenz. Er war mit seiner Mutter eingezogen, die verstarb. Die gebürtige Dessauerin Annette Berkholz zog 2014 vom Betreuten Wohnen um in das Haus. „Er hat dann immer an meine Tür geklopft und mich zum Essen abgeholt.“ Hatte Annette Berkholz Besuch in einem der Gemeinschaftsräume, scharwenzelte er um den Tisch herum. Er suchte ihre Nähe.
Seit November 2015 leben beide zusammen in einem Zimmer. Es war ein Testlauf. Und er funktionierte. „Gerhard hilft mir, wo er kann. Er hebt mich aus dem Rollstuhl, schmiert mir Brote, bringt mich ins Bett. Vieles kann ich alleine ja gar nicht.“ Er fährt sie spazieren, kauft auch mal was ein, begleitet sie zum Arzt. Sie unternehmen Ausflüge in die Stadt, auch beim Karnevalsumzug in diesem Jahr waren sie dabei.
Zur ersten Hochzeitsfeier überhaupt im Marthahaus und für die beiden selbst hält das Paar Händchen, während es auch ein wenig schüchtern über das junge Glück im späten Alter erzählt. Der Drängende bei der Fragen aller Fragen war Gerhard Berkholz. „Den Kniefall haben wir uns aber erspart“, sagt Annette Berkholz. Mit der Antwort zögerte sie kurz. Heiraten? „Er hat viele fixe Ideen, ich musste da erstmal drüber nachdenken.“
"Auch wenn er mir manchmal auf den Geist geht"
Auf dem Standesamt schließlich kullerten ihr am Freitag Tränen übers Gesicht. Es ist alles gut so, wie es gekommen ist. „Auch wenn er mir manchmal auf den Geist geht. Wir haben uns schonmal in der Wolle gehabt.“ Ein ganz normales Eheleben eben. „Dem muss man die Ohren waschen, sonst hört er nicht“, sagt Annette Berkholz und muss lachen. „Er will seinen Kopf durchsetzen. Aber ich mache da nicht alles mit.“ Dass er ihren Namen annehmen wollte, stand für ihn von Anfang an fest. Und der gebürtige Raguhner hat immer noch Schmetterlinge im Bauch: Wenn er seine Frau ansieht, grinst er übers ganze Gesicht. „Ich mag, dass sie schön aussieht. Für mich ist sie die Allerschönste. Und ich küsse sie gerne“, sagt der 65-Jährige.
Hochzeitsreise zum Kurort
„Sie haben sich gesucht und gefunden“, erzählt Margit Köppe, die Annette Berkholz lange ehrenamtlich betreut hat und zur Freundin wurde. „Das freut mich sehr.“ Auch er sei wie ausgewechselt, seit die beiden ein Paar sind - ruhiger. Keine Ruhe wird es wohl beim Thema Wohnen geben: Beide leben gern im Marthahaus, wollen aber noch einen neuen Abschnitt in eigener Wohnung mit Betreuung wagen. Und die Hochzeitsreise? „Das wird die Kur werden“, sagt Gerhard Berkholz. „Ist schon beantragt.“
In einem ist sie sicher, sagt Annette Berkholz an diesem Nachmittag mit Hochzeitstorte, Hochzeitstanz und einem Drei-Gänge-Menü: „Wir lassen uns nicht mehr scheiden. So sehr viel Zeit haben wir ja auch nicht mehr.“ (mz)
