Weltweit bekannter Raketenspezialist Weltweit bekannter Raketenspezialist: Heinz Gartmann vor 100 Jahren in Dessau geboren

Dessau - Vor 100 Jahren, am 12. Dezember 1917, wurde in Dessau, Ackerstraße 9, der spätere Raketen-Ingenieur, Publizist und international bekannte Sachbuchautor Heinz Gartmann geboren.
Als Sohn eines bei Junkers & Co. beschäftigten Schlossers und Schweißers, ab 1923 im Bereich Junkers-Motorenbau tätig, interessierte er sich bereits früh für technische Dinge, so unter anderem für die Antriebstechnik von Luftfahrzeugen.
Im Alter von elf Jahren beobachte er die Junkers-Raketenversuche auf der Elbe am Dessauer Kornhaus 1928/29.
Sein Vater hatte die Befestigungsvorrichtungen für die Feststoffraketen gefertigt, die sich unter den Tragflächen einer schwimmfähigen Junkers W 33w befanden. Und Heinz Gartmann erlebte hautnah den Start einer der ersten europäischen Flüssigkeitsraketen des Junkers-Ingenieur Johannes Winkler am 18. April 1931 auf dem Dessauer Exerziergelände bei Großkühnau. Daher lag sein Berufswunsch nahe, sich der Antriebstechnik zuzuwenden.
Ab 1943 entwickelte Gartmann ein Raketentriebwerk im Auftrag der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt
Nach Absolvierung des Carolinum-Gymnasiums in Bernburg (Saale), sein Vater arbeitete ab 1935 im Junkers-Zweigwerk Bernburg, studierte Heinz Gartmann von 1937 bis 1941 an der TH Berlin-Charlottenburg die Fachrichtung Flugmotorenbau. Mit dem Abschluss Diplom-Ingenieur bewarb er sich im BMW-Raketenentwicklungswerk Zühlsdorf bei Berlin und wurde Mitglied der Lilienthal-Gesellschaft.
Als Forschungsingenieur im Chef-Team des Konstrukteurs und Wissenschaftlers Helmut Graf von Zborowski arbeitete Gartmann ab Januar 1943 an dem Projekt P.3378, der Entwicklung eines Raketentriebwerkes im Auftrag der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt, einer lenkbaren Flugabwehrrakete, die unter dem Namen „Ruhrstahl X-4“ ab Jahresende 1944 zum Einsatz kam.
Das Kriegsende im Mai 1945 erlebte Heinz Gartmann in München, bis ihn das US-Militär 1946/47 als Raketenspezialisten nach den USA an das Air Material Command in Wright Field bei Dayton/Ohio als wissenschaftlichen Mitarbeiter verpflichtete. Dort arbeitete er auf dem Gebiet der Strömungstechnik auch mit mehreren Spezialisten aus den ehemaligen Dessauer Junkers- werken zusammen.
Heinz Gartmann war „Ehrenmitglied der Raketengesellschaft von Detroit, USA“
Dank seiner exzellenten englischen Sprachkenntnisse und seines hohen Fachwissens wird Gartmann „Ehrenmitglied der Raketengesellschaft von Detroit, USA“, Mitglied der „Pazifischen Raketengesellschaft“ in Kalifornien und als erster Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg Mitglied der „Britischen Interplanetarischen Gesellschaft“ in London. Sein Ziel, die Weltraumforschung ausschließlich für friedliche Zwecke zu nutzen, stieß im beginnenden „Kalten Krieg“ bei US-Behörden jedoch nicht immer auf Verständnis.
Daher zog es ihn wieder nach Deutschland. Aus dem praktisch forschenden Ingenieur wurde nun ein vortrefflich fachkundig agierender Sachbuchautor allgemeinverständlicher Bücher und Fachartikel zum Thema Luft- und Raumfahrt.
Der LOT-Verlag Worms verlegte 1949 sein Buch „Raketen von Stern zu Stern“, illustriert von dem Grafiker Günter Radtke mit einem Vorwort von Hermann Oberth, dem bedeutendsten deutschen Raketenforscher. Im selben Jahr wird Heinz Gartmann wissenschaftlicher Leiter der „Gesellschaft für Weltraumforschung e.V.“ in Stuttgart, der er bis zu seinem frühen Tod 1960 angehört.
Astronomische, technische und physikalische Möglichkeiten der Raumfahr leicht erklärt
Als Herausgeber der Fachzeitschrift „Weltraumfahrt“ gelingt es ihm ab 1950, einer breiten Leserschaft die verschiedenen astronomischen, technischen und physikalischen Möglichkeiten der Raumfahrt mittels Raketen und Satelliten in einer sachlich klaren und verständlichen Ausdrucksweise zu vermitteln. Selbst medizinische Aspekte und komplizierte wissenschaftliche Formulierungen in der Weltraumfahrt erklärt er in einer leicht erfassbaren Form.
Heinz Gartmann ist Mitinitiator der im Jahr 1951 in Paris gegründeten International Astronautical Federation (IAF) und wird einer der aktivsten Förderer einer weltweit friedlichen Kosmosforschung. Er bedauerte stets, dass es an den europäischen Hochschulen noch immer keine Lehrstühle für Weltraumforschung gäbe und die sich daraus entstehenden technischen und wirtschaftlichen Chancen noch nicht erkannt respektive genutzt würden.
Im „Internationalen Geophysikalischen Jahr 1957/58“ und nach dem erfolgreichen Start der ersten Satelliten in der UdSSR und den USA setzte er sich für eine länderübergreifende Weltraumforschung zum Nutzen aller Staaten ein. Allzu früh verstarb Heinz Gartmann infolge eines Herzanfalls während des Internationalen astronautischen Kongresses in Stockholm am 18. August 1960.
Heinz Gartmann beschrieb seine Zeit als „Jahrhundert der Raketen“
1996 katalogisierte ein Nürnberger Antiquariat den Nachlass der Fachbibliothek von Heinz Gartmann in einem Katalog mit 565 wissenschaftlichen Titeln, deren Inhalte die zielstrebige Arbeit an der Entwicklung der Raketentechnik und der Weltraumforschung widerspiegelt.
In seinen Büchern und zahlreichen Fachartikeln beschrieb er seine Zeit, als „Jahrhundert der Raketen“. Seine ethische Haltung formulierte Heinz Gartmann wie ein Postulat: „Die Weltraumforschung ist zu bejahen, sofern die drei Maximen der Astronautik beachtet werden: 1. Mit den Füßen fest auf der Erde, 2. mit dem forschenden Geist im Weltraum, 3. mit dem Herzen für die friedliche Raumfahrt.“
Ein Wissenschaftler aus Dessau par exzellence. (mz)