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Wahnsinn über den Wolken Wahnsinn über den Wolken: Zwei Stewardessen erzählen in Dessau von Pionierzeit der DDR-Luftfahrt

Von Danny Gitter 11.02.2018, 08:00
Am 10. September 1958 wurde die Interflug gegründet. Die Vorgängerin, die Lufthansa der DDR, verlor einen Streit um Marken- und Namensrechte mit der westdeutschen Lufthansa.
Am 10. September 1958 wurde die Interflug gegründet. Die Vorgängerin, die Lufthansa der DDR, verlor einen Streit um Marken- und Namensrechte mit der westdeutschen Lufthansa. Kurt Scholz/DPA

Dessau - Es war vor rund 60 Jahren über dem Abendhimmel von Dessau. Bei einer Iljuschin IL-14 mit über 30 Passagieren an Bord, auf dem Weg von Leipzig nach Berlin, fällt plötzlich ein Triebwerk aus. Der Pilot funkt „Mayday“, um eine Notlandung einzuleiten.

Der Flugplatz Dessau ist das Ausweichziel der Maschine der Lufthansa der DDR. Doch aus Dessau gibt es keine guten Nachrichten. Der Flugplatz ist abends nicht befeuert, eine Notlandung mit einem zu hohen Risiko verbunden.

„Selbst, wenn bei einer IL-14 alle Triebwerke ausfielen, galt noch immer die Devise, dass dieses Flugzeug wie ein Segelflieger sicher landen kann“, erzählt Marianne Jacobs-Dahlmann, damals Stewardess an Bord. So haben sie auch tatsächlich wieder sicheren Boden in Berlin erreicht. Den Segelflugeigenschaften der IL-14 sei es gedankt.

Die DDR suchte für ihre 1955 frisch gegründete zivile Luftlinie Personal

Mit einer Menge Geschichte und Geschichten rund um die Pionierzeit der zivilen Luftfahrt der DDR im Gepäck machten Marianne Jacobs-Dahlmann und Hannelore Mildes aus Berlin am Mittwochabend Station in Dessau.

Vor voll besetzten Reihen im Bauhauszimmer des Landesverwaltungsamtes referierten die mittlerweile über 80-jährigen Ex-Stewardessen auf Einladung des Themenkreises des Fördervereins des Technikmuseums „Hugo Junkers“ über die wohl aufregendste Zeit ihres langen Berufslebens.

Die DDR suchte für ihre 1955 frisch gegründete zivile Luftlinie, die Lufthansa der DDR, Personal, lockte mit einer soliden Ausbildung, mit der Freiheit über den Wolken und mit rund 350 Ostmark, für damalige Verhältnisse einem guten Gehalt.

Jahrelang erlebten sie als Stewardessen die skurrilsten Sachen

1956 stieg Mildes, Studentin für Marxismus-Leninismus, ein, 1957 folgte Jacobs-Dahlmann, damals Speditionskauffrau in der Luftfrachtabfertigung in Berlin-Schönefeld. Sie paukten unter anderem Flugtechnik, Flugrecht, Meteorologie, Navigation und Servieren. Für Letzteres erfolgte die „Trockenübung“ in Restaurants in der Stalinallee in Berlin. „An Bord war das Gelernte meist obsolet, weil die Bedingungen da natürlich ganz anders waren“, blickt Mildes zurück.

Sie wies Jacobs-Dahlmann auf ihrem ersten Flug ein. Jahrelang erlebten sie als Kolleginnen die skurrilsten Sachen. Erich Honecker sang im FDJ-Blauhemd auf dem Flug von Berlin nach Moskau mit einer Delegation lauthals alte Kampflieder. Nicolae Ceausescu, damals an Bord einer ausgebuchten Maschine von Berlin nach Bukarest, auf dem Stewardessen-Sitz von Mildes platziert, half ihr als stiller und unauffälliger Gast Servietten zu falten.

Bei der Landung wurde der Verteidigungsminister und spätere rumänische Diktator mit allen militärischen Ehren empfangen. Einen anderen, ganz besonderen Gast, hatte Mildes ein anderes Mal an Bord. Ein Bär für den Berliner Tierpark musste von Moskau in die Hauptstadt der DDR gebracht werden.

Prominente Fluggäste – von Walter Ulbricht bis Marlene Dietrich

Im Käfig, im Garderobenbereich der Maschine, wurde Meister Petz ziemlich ungemütlich. Wann immer es ging, holte er mit den Pranken nach dem vorbeigehenden Personal aus. Ernsthaft verletzt wurde niemand. Die Vorhänge in der Nähe des Käfigs waren bei der Landung in Berlin aber zerfetzt. Manchmal flogen Mildes und Jacobs-Dahlmann mit Passagieren nach Budapest und Sofia und zurück mit Kisten voller Obst und Gemüse an Bord.

Unzählige Normalos und Prominente, unter anderem Walter Ulbricht, Marlene Dietrich und Helene Weigl haben die beiden Stewardessen begleitet. Jacobs-Dahlmann machte 1961, rechtzeitig vor dem Mauerbau den Abflug Richtung Karlsruhe und arbeitete dort als Journalistin.

1962 hing Mildes die Dienstkleidung an den Nagel, arbeitete als Übersetzerin und später in führender Stellung bei der Interflug, bis zur Abwicklung 1992. „Damals war Fliegen noch was Besonderes“, blickt Mildes mit etwas Wehmut auf die gute alte Zeit zurück. (mz)

Hannelore Mildes (li.) und Marianne Jacobs-Dahlmann blicken gerne zurück.
Hannelore Mildes (li.) und Marianne Jacobs-Dahlmann blicken gerne zurück.
Lutz Sebastian