Verwaltungsgericht Dessau Verwaltungsgericht Dessau: Urteil stellt Recht auf Pflege fest
Dessau/Zerbst/MZ. - Der von Leonhard Steigmeier aus Bad Mergentheim anwaltlich vertretene Rainer Jastrow wurde 1956 geboren und leidet an progressiver Muskeldystrophie, einer Krankheit, wegen der er auf den Rollstuhl angewiesen ist. Seit dem Tod der Eltern im Jahr 1985 lebt er in einem sanierten Zerbster Alten- und Pflegeheim in einem Einzelzimmer mit Sanitärzelle. Mit seiner Klage verfolgte der 46-Jährige das Ziel, dass ihn der Landkreis unterstützt, in einer eigenen Wohnung gepflegt zu werden. Einen entsprechenden Antrag hatte der Kreis abgelehnt. Er begründete seine Haltung zum einen mit dem Umstand, dass die Betreuung des schwerst pflegebedürftigen Klägers nur medizinisches Fachpersonal gewährleisten könne. Zum anderen wären die Kosten für die Variante des so genannten Assistentenmodells zu hoch. Die Betreuung in einer eigenen Wohnung würde knapp 7 100 Euro kosten.
Jastrow wandte hingegen ein, im Altenpflegeheim, wo es zum Teil ebenfalls ungeschultes Personal gebe, ständig mit dem Tod konfrontiert zu sein. Zudem habe er keinen Einfluss auf seinen Tagesablauf. Für Unternehmungen außerhalb stünde ihm keine Begleitperson zur Verfügung. Darum sei ihm diese Art der stationären Pflege "nicht weiter zuzumuten". "Ich kann mich nicht spontan entschließen, ins Kino zu gehen oder Freunde zu besuchen oder schön Essen zu gehen", argumentierte der Behinderte. Darüber hinaus komme der in Erwägung gezogene Umzug in die im Harz gelegene Körperbehinderteneinrichtung von Darlingerode für ihn nicht in Betracht. "Landschaftlich ist es zwar sehr schön dort, aber dann hätte mein Mandant ja noch weniger Chancen, sich nach draußen zu bewegen. Dann wäre er auf ein Dasein in einer Anstalt beschränkt", meinte Rechtsanwalt Steigmeier. Und schließlich sei Rainer Jastrow über Jahre hinweg im Vorstand des Zerbster Behindertenverbandes gesellschaftlich wie politisch tätig.
Der Vorsitzende der Kammer meinte, unmöglich sei es nicht, auch zu Hause medizinisch versiertes Personal zu beschäftigen. Er verwies auf den rechtlichen Rahmen, wonach Hilfe so weit es geht außerhalb von Heimen zu gewähren ist. Einzig unverhältnismäßig hohe Kosten würden dem entgegen stehen. Nur stehe eben nicht im Gesetz, was unzumutbare Kosten sind, so der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts, der nicht abschätzen mochte, wie lange die Agilität des Klägers noch anhält.
Einräumen mussten die Vertreter des Landkreises Anhalt-Zerbst ihre Unkenntnis, wie im Behindertenheim Darlingerode die vorhandene Selbstständigkeit konkret erhalten und ausgebaut wird und wie die Bewohner in das gesellschaftliche Leben einbezogen werden. Im Landkreis Anhalt-Zerbst gibt es keine Einrichtung für körperbehinderte Menschen. Jedoch bezeichneten die Prozessbevollmächtigten des Landkreises Jastrows künftige Wohnung als unangemessen groß, teuer und noch gar nicht fertig.
Gleichwohl erkundigte sich Detlef Bücken-Thielmeyer vorab nach der Bereitschaft der beklagten Partei, zu beobachten, ob Rainer Jastrow mit dem Assistenz-Modell hinkomme. Anwalt Steigmeier sagte dazu, dieses Konzept basiere auf zu leistenden Stunden. Auf keinen Fall gehe man verantwortungslos mit Geldern der öffentlichen Hand um.
Dieses Urteil des Verwaltungsgerichts ist für den Kläger Jastrow deshalb wichtig, weil er die für das Leben in einer eigenen Wohnung erforderlichen Pflegekräfte selbst nicht hätte bezahlen können. Allerdings entscheidet der Träger der Sozialhilfe, also der Landkreis, in welcher Weise die erst in Zukunft zu gewährende häusliche Hilfe sicherzustellen ist. Ob hier nur das Assistenz-Modell angewendet werden muss, ließen die Verwaltungsrichter offen. Auch der exakte Pflegebedarf und damit die genauen Kosten müssen erst noch ermittelt werden.