Veränderungen durch Corona Veränderungen durch Corona: Wie sich das Jobcenter in Dessau-Roßlau seine Arbeitsweise umgestellt hat

Dessau - Seit nunmehr sieben Wochen ist für Gabriele Grahl das Telefon nahezu das wichtigste Arbeitsmittel. Die Fachassistentin in der Leistungsgewährung des Jobcenters Dessau-Roßlau hat in Corona-Zeiten keinen Besuch mehr in ihrem kleinen Büro. Der Kontakt zu den Kunden erfolgt telefonisch oder per Mail. Wie bei ihren 46 Kolleginnen und Kollegen auch.
Zur Eindämmung des Infektionsrisikos hat das Jobcenter, wie auch die Arbeitsagentur, seine Arbeitsweise umgestellt und den persönlichen Kundenkontakt auf nahezu Null reduziert. Was sich vorher kaum einer vorzustellen vermochte, funktioniert überraschend gut.
Dank der auf 24 Mitarbeiter aufgestockten Telefonie, die wochentags von 8 bis 18 Uhr erreichbar sind, könne jeder Anruf sofort angenommen oder zeitnah zurückgerufen werden, erörtert Jobcenterchefin Ines Blaschczok. Auch die fristgerechte Auszahlung der Geldleistungen sei gelungen, sowohl bei den Erstanträgen als auch bei Wiederbewilligungen. Bei wachsendem Aufkommen.
Noch nicht zu beziffern sei die Zahl der Kurzarbeitenden, die ergänzende Grundsicherung benötigen
Die Zahl der Leistungsbeziehenden insgesamt ist von März auf April um 54 auf 5.388 gestiegen. Die Arbeitslosenzahl im SGB II stieg um 175 auf 2.154. „Hinzu kommen 237 neue Kunden, die nicht arbeitslos, sondern erwerbstätig sind, als Angestellte in Kurzarbeit oder Selbstständige und sich mit dem Antrag den Anspruch auf Grundsicherung sichern wollen“, blickt Ines Blaschczok auf die Statistik. Das haben im April 106 Selbstständige so gehandhabt (4 im März) und 131 versicherungspflichtig Beschäftigte (28 im März).
Die Betreffenden kommen aus dem Handel, dem Lebensmittel- und Gastrogewerbe sowie medizinischen und nichtmedizinischen Berufen wie Kosmetik, Fußpflege, Physiotherapie. Noch nicht zu beziffern sei die Zahl der Kurzarbeitenden, die ergänzende Grundsicherung benötigen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, macht Blaschczok aufmerksam. Auch die Zahl der Entlassungen und Alg I-Aufstocker sei noch eine Unbekannte. „Wir rechnen mit einem weiteren Anstieg der Kundenzahlen und bereiten uns darauf vor.“
Natürlich erleichtere auch das vereinfachte Antragsverfahren die Arbeit
Auf die veränderte Arbeitsweise gibt es laut Jobcenterchefin vonseiten der Kunden bisher keinerlei negatives Feedback. Im Gegenteil. Viele Kunden arbeiteten aktiv mit, offene Fragen zu klären. Auch Gabriele Grahl , die seit 2005 im Jobcenter als „Leistungsmensch“ arbeitet, ist zufrieden. „Vieles ist einfacher und lässt sich mit Anruf schneller erledigen und regeln“, stellt sie fest. Auch die Kommunikation per Mail funktioniere sehr gut.
„Alles geht schneller als die Nachfrage im Postverkehr.“ Natürlich erleichtere auch das vereinfachte Antragsverfahren, so der Wegfall der Vermögensprüfung, die Arbeit. „Ich habe den Eindruck, dass die Kunden froh sind, wenn wir sie anrufen, um etwas zu klären“, sagt Grahl. Sie geben dann auch die Einwilligung, mit ihrem Arbeitgeber oder Vermieter in Kontakt zu treten. „Auch die sind sich offensichtlich alle der Situation bewusst. Das klappt prima.“
So ganz ohne persönlichen Kontakt zum Kunden kann sich Gabriele Grahl die Zukunft aber trotzdem nicht vorstellen. „Wir sehen ihn nicht, haben kein Bild und keinen Eindruck.“ Auch Ines Blaschczok schließt eine völlige personenlose Arbeitsweise aus. „Im Erstgespräch, beim Vermittler oder in der Sozialberatung ist es ganz wichtig, eine persönliche Beziehung aufzubauen und das funktioniert am Telefon nicht.“
Jobcenter erwartet verstärkte Nachfrage zur Grundsicherung
Dennoch sei sie sehr dafür, die positiven Effekte der jetzigen Arbeitsweise langfristig zu übernehmen. Im Leistungsbereich oder dem Vermittlungsgeschäft könne sie sich das sehr gut vorstellen. Einen größeren Anteil wird künftig auch die Kundenbetreuung über den Onlinekanal Jobcenter digital haben, ist die Behördenchefin überzeugt. Denn auch hier wachse derzeit die Akzeptanz bei den Kunden.
Das ist Zukunftsmusik. Dringlicher und zeitnah wird für die Jobcenter die Aufgabe, sich auf die zu erwartende verstärkte Nachfrage zur Grundsicherung vorzubereiten. Vorberechnungen der Bundesagentur für Arbeit sehen deutschlandweit 1,2 Millionen zusätzliche Bedarfsgemeinschaften in den nächsten Monaten. Das wäre für Dessau-Roßlau ein Plus von 2.000.
Bereich der Leistungsabteilung wird aufgestockt
Um auch dann dem gewachsenen Antragsaufkommen gerecht zu werden, wird der Leistungsbereich aufgestockt. Zehn Mitarbeiter aus den Vermittlungsteams und der Widerspruchsabteilung wurden in den vergangenen zwei Wochen geschult, um Erstanträge bearbeiten zu können. „Sie sind ab sofort einsatzbereit“, meldet Garbiele Grahl, die die Schulung durchgeführt hat.
Künftig werden die zehn in ihren angestammten Bereichen und tageweise in der Leistungsabteilung tätig sein. „Um das Gelernte nicht zu vergessen und praktische Erfahrungen zu sammeln“, erklärt Grahl. Die zehn haben sich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet und hätten Freude daran, sich einzuarbeiten. (mz)