Urteil zu Abwasseranschlüssen Urteil zu Abwasseranschlüssen in Sachsen-Anhalt: Nachträgliche Beiträge sind verfassungskonform

Dessau - Da ist es nun, das Urteil. Es ist eine Niederlage für Die Linke und die Bürgerinitiativen, die sie unterstützte. „Jetzt haben wir zumindest eine Klärung“, sagte Swen Knöchel am Dienstag in Dessau.
Der Fraktionschef der Linken hatte Augenblicke zuvor noch die 40-minütige Urteilsverkündung im Landesverfassungsgericht verfolgt. Ihm gegenüber: ein zufriedener Innenminister Holger Stahlknecht (CDU).
Das Gericht urteilte am Dienstag, dass das nachträgliche Einkassieren von Beiträgen für Abwasseranschlüsse bisher rechtens war - selbst dann, wenn die Rechnungen erst Jahrzehnte nach Einrichtung der Anschlüsse in den Briefkästen landeten.
Konkret entschieden Sachsen-Anhalts höchste Richter, dass eine umstrittene Übergangsregelung, die das Eintreiben von Beiträgen von 1991 bis ins Jahr 2015 hinein erlaubt hatte, nicht mit der Landesverfassung kollidiert.
Abwasserstreit in Sachsen-Anhalt: Politiker und Bürger protestierten gegen das nachträgliche Eintreiben von Gebühren
Viele Bürger - und auch linke und grüne Politiker - hatten dies in der Vergangenheit anders gesehen. Im vergangenen Jahr hatte der Abwasserstreit zu lauten Protesten von Bürgerinitiativen im ganzen Land geführt. Rund 80 000 Menschen sind von den nachträglichen Forderungen betroffen. Nach Schätzungen von Expertenverbänden haben rund 36 000 Personen Widersprüche eingelegt.
Und selbst in der Landesregierung hatte es zwischenzeitlich Unsicherheit gegeben. Im vergangenen Winter hatte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) per Erlass ein Moratorium herbeigeführt - die Abwasserzweckverbände sollten die Zahlungen erst einmal ruhen lassen, bis es Rechtssicherheit geben würde.
Diese gebe es nun, sagte der Innenminister nach dem Urteil. „Wir haben immer gesagt: Es gibt keinen Grund, dass einige für ihren Abwasseranschluss zahlen und andere nicht.“ Er wisse, dass es in den Bürgerinitiativen eine andere Erwartung an dieses Urteil gegeben habe. „Es gehört nun aber auch dazu, Rückgrat zu zeigen.“
Die Linksfraktion im Landtag war vor Gericht gezogen, um einen besonders umstrittenen Passus im Kommunalabgabengesetz (KAG) prüfen zu lassen: Eine Übergangsfrist von 2014 bis 2015, die den Abwasserverbänden Zeit verschaffte, endlich alle angehäuften Beitragsschulden zu kassieren.
Eben diese Regel, vom Landtag beschlossen, widersprach nach Ansicht der Linken einem anderen Gesetzespassus, der eine Höchstgrenze von zehn Jahren für nachträgliche Beiträge festlegt. Nur so sei es möglich gewesen, mit dem KAG bis zu 25 Jahre später zu kassieren.
Abwasserstreit in Sachsen-Anhalt: Auch nach dem Urteil bleibt laut Linken ein politisches und moralisches Problem
Laut dem Urteil vom Dienstag ist die Regelung jedoch verfassungskonform. „Grundsätzlich muss jeder Anschlussnehmer damit rechnen, Beiträge zu leisten“, heißt es. Zudem könne ein 25-Jahre-Zeitraum für Abwasserbeiträge als angemessen gelten - in verwandten Fällen habe dies der Europäische Gerichtshof ähnlich beurteilt.
Knöchel sagte nach dem Urteilsspruch, er habe keine Zweifel, dass die Richter eine sorgfältig abgewogenen Entscheidung getroffen hätten. Doch auch juristisch bestätigt bleibe das Gesetz ein „politisches und moralisches Problem“.
Lasten und Defizite in der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung würden auf den Schulter der Bürger abgeladen. Hintergrund ist, dass die Beitragsgelder in die Wasserinfrastruktur fließen.
Der Grünen-Abgeordnete Olaf Meister sagte, er habe das Gesetz damals für falsch gehalten. „Doch durch das Urteil bekommen wir nun hoffentlich einen Rechtsfrieden.“ Laut SPD-Innenexperte Rüdiger Erben zeige das Urteil, dass die Entscheidung der Landesregierung zum zwischenzeitlichen Moratorium richtig war. Die AfD bezeichnete das Urteil hingegen als skandalös.
Aus Sicht der Bürgerinitiativen sei das Urteil „enttäuschend“, sagte Anke Thies. Die Rechtsanwältin vertritt mehrere Initiativen. „Es ist allerdings eine andere Frage, ob innerhalb der Abwasserzweckverbände alles sauber gelaufen ist“, so die Anwältin. Zu dieser Frage seien noch Verfahren anhängig. Sie wolle bis ans Bundesverfassungsgerichts ziehen. Eine Bürgerinitiative aus Hettstedt kündigte nach dem Urteilsspruch am Dienstag bereits an, diesen Weg gehen zu wollen. (mz)
Abwasserstreit in Sachsen-Anhalt: Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema
Worum dreht sich der Konflikt?
Im Kern geht es um die Frage, wie lange ein Haushalt nachträglich noch für einen Wasseranschluss zur Kasse gebeten werden darf. Bei diesen sogenannten Altanschließerfällen treiben die Zweckverbände oft Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte, nach dem Bau oder Anschluss von Abwassersystemen noch Gebühren dafür ein. Im Konflikt, den die Verfassungsrichter jetzt beurteilen, geht es um eine Übergangsregelung. Sie hatte 2015 zu einer Flut an Gebührenbescheiden geführt. Während die Regierung davon überzeugt ist, dass die Regelung rechtmäßig ist, hat sich die Linken-Fraktion als Opposition an das Landesverfassungsgericht gewandt.
Wen betrifft es?
In Sachsen-Anhalt sind nach Angaben des Verbands Deutscher Grundstücksnutzer etwa 85.000 Haushalte betroffen. Allein im Jahr 2015 wurden demnach mehr als 78.000 Bescheide mit einem Volumen von 77 Millionen Euro verschickt. Für den Einzelnen geht es um Forderungen von bis zu vielen tausend Euro. Rund 36.000 Betroffene, also etwa die Hälfte der zuletzt angeschriebenen Sachsen-Anhalter, hätten Widerspruch eingelegt, sagte ein Verbandssprecher.
Wie kam es zu dem Streit?
In Sachsen-Anhalt galt viele Jahre überhaupt keine zeitliche Obergrenze für nachträgliche Bescheide. Nach einem Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2013 zu einem Fall aus Bayern änderte sich das. Die obersten Richter hatten festgelegt, dass die Beiträge nicht beliebig lang nach Anschluss erhoben werden dürfen. Viele Bundesländer, darunter auch Sachsen-Anhalt, änderten daraufhin ihr Kommunalabgabengesetz. Im Land gilt seitdem eine Verjährungsfrist von zehn Jahren. Eigentlich. Denn es gibt eine Übergangsregelung: Bis zum Stichtag Ende 2015 wurde diese zeitliche Obergrenze außer Kraft gesetzt. Das führte zu einer Flut an Bescheiden im vergangenen Jahr - und ließ den Streit hochkochen.
Was geschah bisher?
Die Altanschließer-Beiträge beschäftigen nicht zum ersten Mal die Justiz. Im Februar 2016 hatte das Oberverwaltungsgericht in Magdeburg die Regelungen als rechtmäßig eingestuft. Das Innenministerium empfahl den Gemeinden dennoch per Erlass, auf das Eintreiben der Gebühren bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung zu verzichten. Auch der Landtag stimmte im Sommer für eine Lockerung: Zweckverbände können auf das Eintreiben der Gebühren bis zur gerichtlichen Klärung verzichten. Beide Empfehlungen sind nicht verpflichtend.
Sind die Regelungen in Sachsen-Anhalt ein Einzelfall?
Nein, die Diskussion gibt es in vielen Bundesländern, vor allem im Osten. Hintergrund ist hier, dass nach der Wiedervereinigung viele Kläranlagen und Leitungen teuer neu gebaut wurden, aber zunächst auf das Eintreiben von Beiträgen verzichtet wurde. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte bereits mit den Brandenburger Regelungen zu nachträglichen Anschlussgebühren zu tun. Es erklärte sie für unwirksam. Auf dieses Urteil verweisen Kritiker der Übergangsvorschrift in Sachsen-Anhalt und hoffen auf eine ähnliche Entscheidung. Gegenstimmen meinen, die Fälle in Brandenburg seien ganz anders gelagert.
Welche Folgen könnte das Urteil haben?
Das kommt ganz darauf an. In Brandenburg hatten die Instanzen die Regelungen des Landes für rechtmäßig erklärt - erst der Gang nach Karlsruhe brachte 2015 endgültige Klärung. Ähnliches könnte auch in Sachsen-Anhalt passieren. (dpa)