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Trauriger Inhalt einer Kiste

Von Annette Gens 15.12.2005, 19:00

Dessau/MZ. - Er leuchtet nicht mehr. Mehr noch, er ist in Stücke zerbrochen. Auf den ersten Blick sieht es aus, als wäre das Relief des "Goldenen Stern" für immer verloren. Seit 1820 prangte es als Wappen über dem Eingang der historischen Gaststätte "Goldener Stern" in der damaligen Leopoldstraße 30 und der heutigen Ferdinand-von-Schill-Straße. Kurz vor dem Abriss des Gebäudes im Jahre 2002 sollte das Relief gesichert werden. Aber irgendwer war schneller.

Bernhard Schellbach, Diplom-Bildhauer, erinnert sich: Sein Telefon hatte geklingelt. Es war an einem späten Abend. Es war Wochenende, und er fragte ins Handy: "Wer sind sie überhaupt?". Die Männerstimme hatte ihn aufgefordert, er solle mal vor seinem Tor nachschauen. Schellbach hielt das zunächst für einen Witz und entdeckte schließlich eine Kiste mit den Trümmern des Reliefs.

Die Kripo kam, es war bereits nach Mitternacht. Der Fund, der heute an einem sicheren Ort verwahrt ist, wurde aufgenommen. Wenige Tage später ließ die Polizei die Öffentlichkeit wissen, das Relief ist wieder da - vom Zustand jedoch wurde kein Wort verloren.

Wer der oder die Unbekannten waren, die das Relief eine Zeit lang in ihrem Besitz hatten, niemand weiß es. "Wenn es Leute waren, die es gut meinten und ein Stück Geschichte retten wollten, dann muss ich denen sagen, sie haben niemandem einen Gefallen getan", sagt der Mosigkauer Bildhauer. Das Relief sei zwar noch zu restaurieren, aber es sei damit ein enormer Aufwand verbunden. "Es ist nicht fachmännisch abgenommen worden und dadurch erheblich beschädigt. Schade." Deshalb wäre es wahrscheinlich besser, es nicht wieder an eine Außenfassade anzubringen, so der Fachmann.

Doch Schellbach zweifelt wiederum, wenn es um die oder den großen Unbekannten geht. Vielleicht wollte auch jemand das Relief für sich behalten? Dafür spräche, dass eine der Putten bereits von der Farbe befreit war. Dies geschah offenbar mit einem Gegenstand aus Metall. "Leider wurde die Putte dabei mehrmals zusätzlich beschädigt", bedauert er.

Das zertrümmerte Relief des Goldenen Stern ist ein Stück Stadtgeschichte. Doch dieses Stück Geschichte gehört in diesem Fall nicht den Dessauern, sondern dem Bauunternehmen Diringer & Scheidel, das das Grundstück der geschichtsträchtigen Gaststätte erwarb und das Haus Anfang des Jahres 2002 "wegen Baufälligkeit und aus Sicherheitsgründen abriss", wie Projektentwickler Andreas Graupner erinnerte. Dass sich am Standort in der Schill-Straße in nächster Zeit baulich etwas tun werde, hält Graupner für unwahrscheinlich. Büros braucht Dessau momentan ebenso wenig wie Wohnungen. "Doch der Standort ist gut. Wenn es wirtschaftlich wieder aufwärts geht, vielleicht wird dann auch in der Ferdinand-von-Schill-Straße gebaut." Sicher würde sich Diringer & Scheidel dann an das Relief erinnern und vielleicht in einen Neubau integrieren, meinte Graupner.

So lange lagern die stark beschädigten Putten, die einst das Wappenschild mit dem Goldenen Stern hielten, in jener Holzkiste - in einzelnen Stücken. Eingehüllt in gelbes Leinen, etwas gepolstert mit Polystyrolplatten.