Tischtennis Tischtennis: Plastikbälle ersetzen Zelluloidbälle

Dessau/MZ - Mathias Drews kennt das Thema - aber er mag es nicht. „In meinen Augen“, sagt der Abteilungsleiter des SV Turbo Dessau ganz unverblümt, „ist das reine Geldmacherei.“ Sein Lieblingssport steht vor einer Revolution: An den Tischtennisplatten dieser Welt beginnt das Plastikzeitalter - doch nicht jeder findet das gut.
Bisher als Gefahrengut aus Asien
Auch in Sachsen-Anhalt kann - nach 89 Jahren Zelluloid - künftig mit Plastikbällen gespielt werden. Zumindest, wenn man will. „Bei unseren offiziellen Turnieren wie Landesmeisterschaften oder Bezirksmeisterschaften wird vorerst weiterhin mit Zelluloidbällen gespielt“, verrät Andreas Fricke, Geschäftsführer des Tischtennis Verbandes Sachsen-Anhalt (TTVSA), „die Vereine haben, wenn sie möchten, aber die Möglichkeit, auf Plastikbälle umzusteigen.“ Wie viele Teams aus Sachsen-Anhalt das bereits zur neuen Saison tun werden, könne man laut Fricke derzeit nicht sagen. Aber: „Wir gehen davon aus, dass das Gros weiterhin mit den alten Bällen spielen wird“, sagt der Geschäftsführer. F
Die besten Tischtennis-Spieler der Welt müssen sich ebenfalls an die neuen Plastikbälle gewöhnen. Für sie sind die neuen Spielgeräte sogar ein Muss. Der deutsche Welt-Star Timo Boll sprach vor Kurzem gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von einer Farce, was die Einführung der neuen Bälle angeht. Eine mehrmonatige Vorbereitung war mit den neuen Bällen nicht möglich.
Die Hersteller experimentieren noch mit den neuen Bällen. Tischtennis-Ass Timo Boll ist sich deshalb sicher: „Wir werden ins kalte Wasser geschmissen.“
Fest steht jedenfalls: Sollten sich die Vereinsverantwortlichen für die neuen Spielgeräte entscheiden, muss jede Mannschaft - von den Herren bis zum Nachwuchs - damit antreten. Seit dem 1. Juli sind laut internationalem Reglement Zelluloidball und Plastikball als offizielles Spielmaterial zugelassen. Der Weltverband ITTF hat für den Spielbetrieb auf seiner Ebene, zum Beispiel bei Weltmeisterschaften, erklärt, dass der Plastikball verbindlich eingesetzt wird. Grund für die gravierende Veränderung ist vor allem die leichte Entflammbarkeit der Bälle aus Zelluloid, ein im 19. Jahrhundert erfundenes Thermoplast aus Cellulosenitrat und Campher. Bislang wurden sie mit großem Aufwand als Gefahrengut aus Asien importiert. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet, explodierten 2001 in Hongkong eine halbe Million Tischtennisbälle bei brütender Hitze in einem Container - vermutlich aufgrund der Luftausdehnung im Innern der Bälle. Deshalb soll nun Schluss sein mit den „alten“ Bällen. Die Plastikvariante birgt diese Gefahren nicht.
Wechsel zunächst auf freiwilliger Basis
Die deutsche Bundesliga stellt deshalb zur nächsten Saison auf Plastik um. In Sachsen-Anhalt geschieht ein Wechsel zunächst auf Freiwilligenbasis. Wie es dann weitergeht, bleibt abzuwarten. Aber dass die Plastikbälle mittelfristig gesehen die Zelluloidbälle flächendeckend ersetzen werden, ist sicher. „In der nächsten Saison wird es aber so sein, dass die Mannschaften, die umgestellt haben und mit den neuen Bällen spielen, im direkten Duell einen Vorteil gegenüber denen haben, die das nicht gemacht haben“, befürchtet Mathias Drews, „das ist nicht richtig durchdacht.“ In Deutschland spielen etwa 600000 Aktive in rund 10000 Vereinen Tischtennis. Die neuen Bälle im Breitensportbereich an den Mann oder die Frau zu bringen, sollte noch einiges an Zeit in Anspruch nehmen. Vor allem, weil im Moment noch keine flächendeckende Versorgung mit Plastikbällen gewährleistet werden kann.
Einführung wird großes Geschäft
„Mitte August haben wir kleinere Mengen der Plastikbälle verfügbar, jedoch werden wir zu Beginn ausschließlich unsere Sponsorings damit versorgen. Im Verkauf werden wir die Bälle dann zu einem späteren Zeitpunkt anbieten“, wird beispielsweise Jörg Schlichter, Produkt-Manager bei adidas, auf der Internetseite des Deutschen Tischtennis Bundes (DTTB) zitiert. Die Einführung des neuen Spielgerätes wird in jedem Fall zu einem großen Geschäft - vermutet zumindest Peter Erbele, Abteilungsleiter bei der SG Chemie Wolfen. „Unter den Vereinen wird gemunkelt, dass die Tischtennisindustrie wieder Geld braucht“, sagt das Tischtennis-Urgestein, „die, die daran verdienen, das sind doch die Ausrüster.“ Neue Bälle würden eventuell auch neue Beläge, neue Schläger nach sich ziehen, mutmaßt Erbele - und dadurch würden sich den Herstellern neue Möglichkeiten bieten.
„Für die Vereine produziert das einfach nur große Kosten“, sagt Mathias Drews und liefert sogleich konkrete Zahlen: Im Schnitt würde Turbo derzeit 1,30 Euro pro Ball zahlen, bei den neuen Spielgeräten wären es 1,80 Euro. Der Verein braucht laut Drews etwa 1000 Bälle pro Saison. „Manche Dinge im Leben“, meint Dessaus Abteilungsleiter, „kann man eben einfach nicht ändern.“
Ein anderes Spiel
Inwiefern sich das Spiel durch das neue Material verändern wird, ist noch unklar. „Experten sagen, dass die Veränderungen nicht so gravierend sind“, meint TTVSA-Geschäftsführer Fricke. Doch Spitzenspieler wie Timo Boll äußerten bereits ihren Unmut (siehe „Timo Boll übt Kritik“). Und auch Mathias Drews, der die neuen Plastikbälle bereits getestet hat, meint: „Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Man muss sein Spiel umstellen.“ Den Bällen mit dem Schläger viel Drall mitzugeben, sei schwieriger. Das Spielgerät würde ganz anders reagieren, so Drews.
Vor einigen Jahren gab es schon einmal eine ähnlich gravierende Veränderung: Der Durchmesser der Bälle wurde von 38 auf 40 Millimeter erhöht. Auch damals wurde hitzig diskutiert. Inzwischen hat man sich daran gewöhnt. Für Mathias Drews steht jedenfalls fest: „Wir wechseln erst zu Plastik, wenn man es muss.“