Teufelszeug aus der «Puddingfabrik»
Dessau/MZ. - Mit einer geheimnisumwitterten ehemaligen Munitionsfabrik befasst sich der Dessauer Schriftsteller Joachim Specht in seinem neuen Buch "Die Erblast von Kapen oder die Puddingfabrik im Oranienbaumer Forst". Am Mittwoch um 18 Uhr stellt er die Dokumentation in der Anhalt-Galerie im Fürst-Leopold-Karree, Antoinetten- / Bitterfelder-Straße, öffentlich vor.
Regelrecht festgebissen hatte sich Joachim Specht. Über ein Jahrzehnt recherchierte er zu einer Problematik, die der Schriftsteller, der so viel über Australien verfasst hat, diesmal fast vor seiner Haustür fand - auf dem Gelände der ehemaligen Heeresmunitionsanstalt Kapen, des späteren VEB Chemiewerk Kapen, ebenfalls Munitionsfabrik, und der jetzigen Dessora GmbH.
Ein angrenzendes Waldareal war bis September 1992 von sowjetischen Truppen besetzt und somit hermetisch abgeriegelt. Specht war dabei, als Vertreter der GUS-Garnison die Liegenschaft an das Bundesvermögensamt übergaben. Bereits im Dessauer Kalender 1994 stellte der Autor mit seinem Kapen-Bericht der Öffentlichkeit spektakuläre Fakten vor. Im Dessauer Kalender des Jahrganges 2004 schilderte Specht die Arbeits- und Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter und Zwangsdienstverpflichteten in der Munitionsanstalt. Im selben Jahr erschien das Buch "Knalltrauma", ein Roman, dessen zentrales Thema die Selbstschussanlage SM-70 ist. Produziert wurde das an der deutsch-deutschen Grenze installierte Tötungsgerät im Chemiewerk Kapen.
"Puddingfabrik" nannte der Volksmund sarkastisch den versteckt im Oranienbaumer Forst gelegenen Betrieb, über den der 76-jährige Autor nun eine umfassende Dokumentation vorlegt. Genaues war "draußen" kaum bekannt. Sogar nach der Wende noch traf Specht bei seinen Recherchen "schnell auf taube Ohren, Kopfschütteln und Schweigen". Umso mehr erstaunt, wie fündig er geworden ist. Die Erblast von Kapen ergibt sich aus der Produktion von Giftgasgranaten und anderer Munition bis zum Ende des 2. Weltkrieges. Die Siegermächte wollten das Teufelszeug aus Kapen und anderswo schnell loswerden.
Sie beschlagnahmten dazu laut Specht deutsche Handelsschiffe, ließen diese mit Munition beladen und komplett in der Ostsee versenken. Dort liegen die Schiffswracks als tickende Zeitbomben. Lösungen, wie drohender Schaden unbekannten Ausmaßes abgewendet werden kann, sind nicht in Sicht.
Specht geht davon aus, "dass es etwa 25 Züge mit 40 bis 42 Waggons waren, die von Kapen nach Wolgast fuhren". Weiterhin ermittelte der Autor, dass größere Mengen Kampfstoffe in Kapen selbst vernichtet worden seien. Er ist der Meinung, dass von diesem Gelände auch heute noch Gefahren ausgehen.
Und Specht geht auf eine weitere Kapener Erblast ein, auf die menschliche. Er wendet sich den russischen, ukrainischen, polnischen und anderen Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern zu, lässt einige selbst zu Wort kommen, und er spart die kriegsdienstverpflichteten deutschen Frauen nicht aus. Beide Gruppen lebten zwar in getrennten Wohnlagern, sie einte jedoch die hochgefährliche unfreiwillige Arbeit mit der Munition.
Joachim Specht: "Die Erblast von Kapen", First minute Taschenbuchverlag Emsdetten, ISBN 978-3-932805-58-5, 268 Seiten, 14,90 Euro. Eintritt zur Buchvorstellung zwei Euro.