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St. Marienkirche Roßlau St. Marienkirche Roßlau: Dornenkrone strahlt in stiller Kraft

Von Thomas Altmann 10.03.2002, 17:40

Roßlau/MZ. - Die Kreuzigung war eine äußerst verächtliche und qualvolle Todesstrafe. In der Lesart des Matthäus- und des Markusevangeliums starb Jesus mit lauter Stimme schreiend. Seine letzten Worte, "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?", klingen hier vor allem menschlich. Zu menschlich für das jüngere Johannesevangelium. "Es ist vollbracht", lauten jetzt die letzten, beinah erschreckend abgeklärten Worte, die deutlich Bestandteil einer theologischen Konzeption sind, welche in diesem Tod alles andere als ein Scheitern sieht.

Die "Johannes-Passion" in der Originalfassung für Einzelstimmen und A-cappella-Chor von Heinrich Schütz (1585-1672) wurde am Freitag in der St. Marienkirche in Roßlau aufgeführt. Kleine geistliche Konzerte von Johann Hermann Schein (1586-1672) und Heinrich Schütz, im musikalischen Anspruch alles andere als klein, führten den Hörer auf den Leidensweg.

Die Passionen von Heinrich Schütz bildeten den Höhepunkt der Rezitativ-Passionen, denen in der Geschichte der Kirchenmusik die Passions-Oratorien folgten, welche der musikalischen Spiegelung der Erzählung mehr Raum gewährten. Schütz beschränkte sich weitgehend auf Nachzeichnung und Transformation der Sprachmelodie, die den Hörer ganz auf den Text konzentriert, mehr als es jedes gelesene Wort vermag.

Der Vortrag in der Marienkirche durch das Gesangsquartett "ars vocalis" (Irene Lepetit/Sopran, Elke Sobe/Alt, Marcel Lepetit/Tenor, Oliver Kuhn/Bass) und die aufführenden Solisten transportierte beeindruckend diese Konzentration auf den Text. Den größten Part, das Evangelisten-Rezitativ, meisterte Albrecht Lepitit (Tenor) mit klarer Stimme, die er etwa beim Sterben Jesu ergreifend einfühlsam und sanft klagend modulierte. Sein Vortrag illustrierte, dass die Rezitative nicht nur Bericht, sondern auch Veranschaulichung in freilich feinen Nuancen sind.

Jesus (Bass), dem Andreas Sommerfeld seine tragende Stimme lieh, dominierte ohne machtvoll zu herrschen. In seiner Vertonung des gleichen Textes hat Johann Sebastian Bach die Stimmen von Jesus und Pilatus in den Bass gesetzt. Wurde der römische Statthalter schon im Johannesevangelium weichgespült, indem er quasi als Philanthrop erscheint, trugt Schütz dieser Tendenz Rechnung und schrieb dem Prokurator die Tonlage des Tenors zu. Die warme Stimme von Marcel Lepetit verstärkte diesen Eindruck während der Aufführung. Viel weiß man von Pilatus nicht, aber es gibt Quellen, die ihn in einem anderen Licht erscheinen lassen. Das Zerrbild der Passionsgeschichte war ein Stück christlicher Diplomatie mit schmeichelndem Blick auf die Römer und verdankte sich zudem innerjüdischen Auseinandersetzungen.

Hatte das Quartett schon in den Chören der Passion überzeugt, so wurde der Schlußchor zu einem ergreifenden Finale ganz ohne Pauken und Trompeten - schlicht, durchsichtig, technisch perfekt und doch voll sanfter Poesie. Die Passionsgeschichte verlangt eben eine Passion der Sänger, die sich zur Musikalität gesellen muss, um die gebotene Ausdruckskraft zu erreichen. Entsprechend der Sicht des Johannesevangeliums auf das Kreuz hebt sich die Stimme des Evangelisten, wenn er singt: "Und er neiget das Haupt".