Verstorbene Raumfahrt-Ikone Sigmund Jähn in Dessau: Das verband den Astronauten mit der Stadt

Dessau - Der Tod von Raumfahrtpionier Sigmund Jähn ist im Technikmuseum „Hugo Junkers“ mit tiefer Bestürzung aufgenommen worden. „Er wird uns fehlen - als Mensch und als Fachmann“, sagt Gerd Fucke.
Der Geschäftsführer des Technikmuseums war mehrmals zu Vorträgen von Jähn nach Berlin gereist. „Er hat die Sprache der Zuhörer gesprochen und dabei dennoch komplexe Inhalte vermittelt“, sagt Fucke über den ersten Deutschen im All, der 2012 letztmalig bei einem öffentlichen Auftritt in Dessau zu Gast war.
Antriebsforschung in Dessau
Der Fliegerkosmonaut erinnerte damals an Johannes Winkler, der von Hugo Junkers an seine Versuchsanstalt in die Stadt geholt wurde, hier als Ingenieur arbeitete und unterschiedliche Triebwerkskonstruktionen sowie Treibstoffe ausprobierte. 1931 erfolgten erfolgreiche Starts, so dass Winkler im selben Jahr mit der Konstruktion und dem Bau einer viel leistungsstärkeren Flüssigkeitsrakete beginnen konnte.
Da diese eine deutlich größere Höhe und Flugstrecke zurücklegen sollte, wurde der Exerzierplatz bei Großkühnau zwar zu klein und ein Raketenflugplatz in Berlin-Tegel neues Domizil, aber festzuhalten bleibt: Vor knapp 90 Jahren war in Dessau die europäische Geburtsstunde der Flüssigkeitsrakete, also jener Antriebstechnologie, die später auch Sigmund Jähn und Waleri Bykowski den Griff zu den Sternen erlauben sollte.
Orwo-Filme im Weltraum
Der Russe und der Ostdeutsche starteten am 26. August 1978 zusammen vom Weltraumbahnhof Baikonur mit dem Sojus-Raumschiff zur Station Saljut 6. In der Schwerelosigkeit umkreisten beide Raumfahrer in sieben Tagen, 20 Stunden und 49 Minuten insgesamt 125 Mal unseren blauen Planeten. Obwohl das Ereignis mehrere Jahrzehnte zurückliegt, hat Jähn dem Verfasser dieses Artikels im Jahr 2015 von seinen Erinnerungen detailliert berichtet. Etwa vom Start.
„Es war zuerst, als würde es in weiter Ferne donnern. Das dumpfe Grollen kam näher und näher. Die Rakete begann zu vibrieren, als zittere sie, um so schnell wie möglich vom Krater des Vulkans wegzukommen, auf dem sie saß“, sagte Jähn. Und: „Augenzeugen berichteten mir später von diesem einmaligen Schauspiel. Es sah aus wie ein feuerspeiender Drachen, der ein Meer aus Flammen und Rauch ausstieß. Rot, gelb, blau und violett tobten die Strahlen aus den fünf Triebwerken.
Meine Pulswerte waren erhöht. Aber dieses Herzklopfen war keine Angst, sondern eher anregend. Und was ich dann erlebte, war totale Glückseligkeit. Ich sah unsere Erde in leuchtendes Blau gehüllt. Einfach traumhaft.“
Einige dieser Momente kann Jähn mit Pentacon- und Praktica-Kameras auf Orwo-Farbfilmen aus dem benachbarten Wolfen für die Ewigkeit festhalten. Knapp 200 Fotos vom Leben in der Raumstation und von der Erde sind ihm geblieben. „Eines meiner Lieblingsbilder ist über dem Amazonas in Südamerika entstanden.“ Aber auch die Puppenhochzeit zwischen dem DDR-Sandmännchen und der sowjetischen Fernsehpuppe Mascha wurde auf Zelluloid gebannt.
„Eigentlich war die Verlobung nicht im Protokoll vorgesehen, denn der Sandmann sollte den Kindern an den Fernsehbildschirmen nur ein paar Dinge über den Weltraumflug erklären.“ Doch als Jähn die Puppe auspackt, hat der Kommandant Wladimir Kowaljonok die Idee, beide Kinderhelden zu vermählen. „So kam es spontan zu der kosmischen Hochzeit.“
Eine kleine Abwechslung - auch für die Besatzung. Denn eigentlich stehen wissenschaftlich-technische Experimente, etwa mit der Multispektralkamera MKF zur Erdfernerkundung, im Mittelpunkt der Mission. Jähn ist für den bekanntesten Fotoapparat der Deutschen Demokratischen Republik samt Wechseln der Filmkassette vorgesehen.
Die Entwicklungskosten von 82 Millionen DDR-Mark sind zugleich der Preis für die Fahrkarte ins All. Die Kamerabilder der Fernerkundung wurden genutzt, um Bodenschätze zu suchen oder land- und forstwirtschaftliche Flächen zu beurteilen. Während der Mission muss Jähn einmal die Filmkassetten der Multispektralkamera wechseln. Während er schwerelos im Raum schwebt, nutzt der russische Kosmonaut die Gunst der Stunde und macht ein Foto von Sigmund Jähn - natürlich in Farbe.
Weltraum-Taxi im Museum
Am 3. September 1978 heißt es dann: Abschied vom All. Zusammen mit Bykowski besteigt Jähn die Raumkapsel. Mit 28 000 Kilometer pro Stunde tritt sie in die Erdatmosphäre ein. Bei dem feurigen Wiedereintritt schmilzt die Hitzeschutzschicht und hinterlässt die heute noch sichtbaren Brandspuren. Die damalige UdSSR schenkt die Rückkehrkapsel nach dem erfolgreichen Raumflug der befreundeten DDR. Während das Weltraum-Taxi im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden zu sehen ist, hängt der Raumanzug von Sigmund Jähn im Haus der Geschichte in Bonn.
Große Trauer in Doppelstadt
Auch viele Jahrzehnte nach seinem Weltraumabenteuer hat Sigmund Jähn jedem Interessierten geduldig Rede und Antwort gestanden. „Er war ein sehr bodenständiger und kluger Mensch“, so Michael Teichert. Der Direktor vom Dessauer Gropius-Gymnasium hat den wohl berühmtesten DDR-Bürger dreimal selbst erlebt und zeigt sich nach wie vor beeindruckt von dessen Lebensleistung. „Die Nachricht von Sigmund Jähns Tod hat daher bei den Lehrern und Schülern unseres Gymnasiums große Trauer ausgelöst“, sagt der Physik- und Astronomielehrer. (mz)

