"Shahrazad" in der Fritz-Hesse-Straße 1 "Shahrazad" in der Fritz-Hesse-Straße 1: Den Orient auf der Zunge

dessau - Shahrazad. Das klingt für Susan Saleem wie eine verheißungsvolle Zukunft, obwohl die Geschichte in tiefster Vergangenheit spielt. Es ist ein orientalischer König, tief gekränkt von der Untreue seiner Ehefrau, der fortan jeden Tag eine neue Frau heiratet und diese am nächsten Morgen hinrichten lässt. Shahrazad, die geheimnisvolle Schöne aus gutem Hause, will dem ein Ende setzen und beginnt den Regenten mit einer Geschichte neugierig zu machen, die sie 1.000 und eine Nacht lang erzählt.
Das ist der Stoff aus dem Träume sind. Das ist das, was auch Europäer am Orient fasziniert. Das ist für Susan Saleem und ihren Lebensgefährten Saad Aoune einfach ein verdammt guter Name für einen arabischen Imbiss. In der Fritz-Hesse-Straße 1 soll das „Shahrazad“ am Dienstag das erste Mal seine Türen für die Kundschaft öffnen. „Es wäre toll, wenn wir schnell in Dessau und der Region bekannt würden“, sagt Susan Saleem. Die 35-jährige Irakerin ist voller Euphorie und will mit dem Neustart ihr bisheriges Leben endlich hinter sich lassen.
Der Laden in der Fritz-Hesse-Straße 1 gegenüber dem legendären Dessauer Quietsch-Eck hat eine wechselvolle Geschichte. Ein Bäckerei- und Fleischerfachgeschäft waren dort untergebracht, wie in der jüngeren Vergangenheit orientalische Imbisse.
Daher setzen Susan Saleem und Saad Aoune gewissermaßen eine Tradition fort. In ihrem Imbiss „Shahrazad“ wollen sie „Arabische Spezialitäten aus 1000 und einer Nacht“ anbieten, u.a. Falafel und Humus, ein in Ländern des Nahen Ostens beliebtes Kichererbsenpüree, anbieten. Es gibt aber auch Döner, Pizza, Pasta und Salate.
Die Eröffnungsfeier ist am heutigen 1. Dezember von 15 bis 18 Uhr geplant. Danach ist das Geschäft täglich Montag bis Freitag von 9 bis 22 Uhr geöffnet, Samstag und Sonntag von 10 bis 23 Uhr.
Vor 20 Jahren heiratet sie in Bagdad und bekommt ein Kind. Die Ehe ist auch von Gewalt geprägt. Saleem schafft es, sich vom Ehemann zu lösen und lernt bald ihren Lebensgefährten Saad Aoune kennen. Ein weiteres Kind wird geboren. Sie arbeitet als Kinderkrankenschwester. Dann beginnt der Irakkrieg. Beide fliehen 2003 aus dem Irak nach Syrien. In Damaskus arbeitet Saleem als Frisörin. Zwei weitere Kinder werden geboren. Doch plötzlich merken sie, dass ihnen Syrien auf lange Sicht keine gesicherte Perspektive bietet. In die Heimat wollen sie wegen der Unruhen nicht zurück. 2009, vor dem Beginn des syrischen Bürgerkriegs, werden Saleem, Aoune und die vier Kinder von der UNO nach Deutschland ausgeflogen. Sie werden nach Dessau geschickt und sind voller Hoffnung auf eine gute Zukunft.
Hier anerkannte Berufsausbildungen wollen beide absolvieren, damit sie sich in den Arbeitsmarkt integrieren können. Das Paar und die vier Kinder ziehen bald nach Halle, weil sie da bessere Perspektiven sehen. Doch auch da gibt es nur Bildungsmaßnahmen, Bewerbungs- und Motivationstrainings und Hartz IV. Zudem werden die älteren Kinder von einigen Lehrern diskriminiert. Deshalb geht es zurück nach Dessau.
Lange mit Heimweh gekämpft
Den Kindern geht es hier gut. Der älteste Sohn (19) absolviert nach erfolgreichem Schulabschluss eine Ausbildung zum Mechaniker. Ein 14-jähriger und ein 11-jähriger Sohn gehen in die Friedensschule. Die Tochter (12) besucht noch eine Grundschule. „Unsere Kinder wollen hier nicht wieder weg. Sie haben viele deutsche Freunde und sind gut integriert“, erzählt Saleem.
Sie und ihr 38-jähriger Lebensgefährte haben lange mit Heimweh zu kämpfen. Weil sie nur geduldet sind und der Aufenthalt alle drei Jahre verlängert wird. Weil die deutsche Sprache noch immer eine Herausforderung ist, auch wenn sie sich ganz gut verständigen können. Weil der Zugang zum hiesigen Arbeitsmarkt schwierig ist. Mehr als diverse Praktika und Fortbildungen gibt es für Saleem nicht. Aoune arbeitet für verschiedene arabische Gastronomien in der Region. „Das ist doch kein Leben, von Sozialleistungen abhängig zu sein“, sagt Saleem. „Ich muss arbeiten“, betont sie. Ehrenamtlich bringt die 35-Jährige sich unter anderem als Integrationslotsin ein. Viel Zeit verbringt sie damit, Flüchtlingen bei ihren ersten Schritten in Deutschland zu helfen. Doch eigenes Geld verdienen, das will Saleem auch.
Der Entschluss, sich mit Aoune in der Gastronomie selbständig zu machen, festigt sich vor einem Jahr. Mit einem mobilen Angebot arabischer Spezialitäten testen Saleem und Aoune, wie ihre Speisen bei verschiedenen Festen ankommen. Ein dreitägiger Crashkurs in Existenzgründung wird absolviert und eine passende Lokalität gesucht. Durch Zufall erfahren sie vor rund zwei Monaten, dass in der näheren Nachbarschaft zu ihrer Wohnung ein Imbissbetreiber seinen Laden weitergeben will. Das ist eine Chance. Ohne Existenzgründerzuschuss aber mit viel Mut wollen Saleem und Aoune die Selbständigkeit packen. „Es wird gut werden, wie bei Shahrazad im Märchen“, ist Saleem zuversichtlich. (mz)