Seltener Gendefekt Seltener Gendefekt: Geboren mit einer kranken Haut
Hundeluft/MZ. - Das Ehepaar Corinna und Uwe Kaden aus Hundeluft freute sich auf das zweite Kind. Dass die Wehen drei Wochen zu früh einsetzten, beunruhigte sie nicht; denn das ist eigentlich nichts Ungewöhnliches. Und warum Leon Maurice sich im Mutterleib kaum bewegt hat, wurde den Eltern erst viel später klar.
Während der Geburt bemerkte Corinna Kaden plötzliche Aufregung bei Hebamme und Schwestern. Eine Ärztin wurde hinzugerufen. Sie und ihre Kollegen hatten so ein Baby noch nicht gesehen. Ihren kleinen Sohn konnte die Mutter nicht in den Arm nehmen. Leon kam sofort auf die Intensivstation; denn der Junge ist fast ohne Haut geboren worden.
Am folgenden Tag, als man ihr Leon zeigte, stürzten Ängste, Zweifel, Selbstvorwürfe auf die junge Frau ein. Würde Leon, wie er dort krebsrot, zerbrechlich und unberührbar im Brutkasten lag, überleben? Wird er ein normales Kind oder würde sich das Leben der jungen Familie schlagartig ändern?
"Wir waren schockiert. Das Schlimmste aber war, dass uns niemand sagen konnte, was Leon eigentlich hat und ob das irgend wann mal weggeht", schildert Corinna Kaden die Gefühle der Eltern in jenen schweren Stunden. Dass Leon Maurice an einer unheilbaren Form von Ichthyose leidet, einem Gendefekt, der im Durchschnitt bei 100 000 Geburten nur ein einziges Mal auftritt, erfuhren die beiden erst nach einer langen medizinischen Odyssee.
Vier Wochen blieb das Baby auf der Intensivstation. Vier schreckliche Wochen in Ungewissheit für die Frau, die es gerade zur Welt gebracht hatte. Dann konnten die Eltern Leon mit nach Hause nehmen, mit der Diagnose einer schweren, lebensbedrohlichen Hauterkrankung.
"Im Internet habe ich dann die Anschrift einer Fachklinik in Freiburg gefunden, in der diese Erkrankung behandelt wird", berichtet Corinna Kaden. Sie erhielt einen Termin, doch die Krankenkasse lehnte einen Krankentransport des Säuglings dorthin ab. "Sie haben mir gesagt, an dieser Erkrankung stirbt sowieso fast jedes Kind", ist Frau Kaden noch immer fassungslos.
Das Ehepaar brachte Leon dann in die Klinik nach Freiburg. "Zwölf Stunden Fahrt im Pkw, das hat ihm gar nicht gut getan. Leons Körper bekam viele offene Stellen", erinnert sich die Mutter. Nach der Untersuchung einer Hautprobe hörten die Eltern in der Freiburger Klinik zum ersten Mal den langen, unaussprechlichen Begriff, der ihr Leben und das ihres Sohnes in Zukunft begleiten würde: Kongenitale bullöse ichthyosiforme Erythrodermie Brocq.
Und sie erfuhren von Professor Dr. W. Küster von der TOMESA-Fachklinik in Bad Salzschlirf, der diese äußerst seltene, auf einem genetischen Defekt beruhende Erbkrankheit behandelt und erforscht. Er konnte Leon zum ersten Mal wirklich helfen, mit speziellen Salben-Mixturen und Behandlungs-Ratschlägen für die Eltern und für den Kinderarzt im Krankenhaus Anhalt-Zerbst. "Leon muss schon damals gespürt haben, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung ist", ahnt Corinna Kaden nun, warum er sich während der Schwangerschaft kaum bewegt hat.
Bei Ichthyose, früher auch "Fischschuppenkrankheit" genannt, lösen sich alte Hautschichten nicht von selbst ab, auch wenn neue Haut nachgewachsen ist. Beim geringsten Druck bilden sich Blasen. Der Körper ist zu großen Teilen mit Schuppen bedeckt. Leon ist zu 60 Prozent behindert und bekam von der Krankenkasse inzwischen die Pflegestufe II zuerkannt. Corinna Kaden kann nicht mehr in ihrem Beruf als Kinderpflegerin arbeiten, ihr Sohn braucht ihre ganze Fürsorge und Aufmerksamkeit. "Ich muss ihn behandeln wie ein rohes Ei, darf ihn zum Beispiel nicht unter den Armen hochheben, weil sich sonst die Haut verschiebt", schildert die junge Frau ihre tägliche Mühe. Mehrere Stunden täglich dauert die Behandlung des Jungen. Sie muss abgestorbene Haut entfernen, Leon zwei Stunden am Tag baden, Hautblasen aufstechen und desinfizieren, mehrmals täglich eincremen und Verbände anlegen. "Wenn er zwölf geworden ist, müssen wir diese Mittel selbst bezahlen", blickt die Mutter in eine düstere Zukunft. Der Vater, Restaurantfachmann Uwe Kaden, ist seit einiger Zeit ebenfalls arbeitslos.
Dass Leon als schwerbehindert gilt und die Eltern Anspruch auf Pflegegeld haben, erfuhren sie erst vom Selbsthilfeverein Ichthyose. "Ich kann allen Betroffenen nur raten, mit dem Verein Kontakt aufzunehmen", sagt Corinna Kaden.
An seinem Auto hat das Ehepaar die Adresse einer Internetseite angebracht, auf der Informationen über die Krankheit des Sohnes veröffentlicht sind. Auch die Pkw befreundeter Familien tragen die Aufschrift www.leonseite.com
"Warum wir an die Öffentlichkeit gehen? - Wir wollen Betroffenen helfen, die vergeblich von Hautarzt zu Hautarzt gehen und die aus Unkenntnis falsch behandelt werden", begründet das die junge Frau. Nicht zuletzt wollen Kadens all jenen danken, die sich um ihren Sohn bemüht haben, so der Neugeborenenintensivstation im Klinikum Dessau, Dr. Tomalla von der Uniklinik Freiburg, Prof. Dr. Küster von der TOMESA-Klinik in Bad-Salzschlirf sowie dem Kinderarzt am Kreiskrankenhaus Anhalt-Zerbst, Dr. Köhler.
Informieren will das Ehepaar auch darüber, dass der Gendefekt Ichthyose nicht ansteckend ist. Öffentlich möchten Corinna und Uwe Kaden um Verständnis für die Erkrankten werben, die unter ihrem entstellten Aussehen und unter der Reaktion ihrer Umgebung leiden. Sogar angezeigt habe man die Eltern aus Hundeluft schon beim Jugendamt, weil man annahm, die Hautveränderungen ihres Sohnes seien durch Misshandlungen verursacht.
Und Leon? Noch leidet er nicht, weder unter Schmerzen, noch unter den Zweifeln, ob er sich den angewiderten Blicken, zum Beispiel im Schwimmbad, wirklich aussetzen oder lieber zu Hause bleiben soll. "Hoffnung? Vielleicht, wenn eine Gentherapie gefunden wird, irgendwann", ist Leons Mutter eher pessimistisch. Der Professor hatte den Eltern reinen Wein eingeschenkt: "Der Junge stirbt nicht an der Krankheit, aber er stirbt mit der Krankheit."
Doch eines ist für die beiden sicher: Der Junge wird seine Eltern immer an seiner Seite wissen, wie auch seinen Bruder Tristan. Der kam vor zwei Jahren völlig gesund zur Welt und verhält sich gegenüber Leon sehr rücksichtsvoll.
Nach eingehender Untersuchung der Eltern stellte der Professor in Bad Salzschlirf fest: Ichthyose wird in der Familie Kaden nicht vererbt. Dass Leon diese Krankheit hat, liege an schädigenden Umwelteinflüssen.
Selbsthilfe Ichthyose e.V., Silke Kästner, Wettinerstraße 6, 04105 Leipzig, Telefon 0341-2 33 29 40
Kontakt zu Corinna und Uwe Kaden unter E-Mail [email protected]