Orchester ohne Perspektive Orchester ohne Perspektive: Musiker der Anhaltische Philharmonie Dessau planen eigene Ideen

Dessau - Svetla Kambourova vergleicht die aktuelle Situation mit der Sommerpause zu Zeiten ihres Musikstudiums. Keine Auftritte, dafür isoliertes Arbeiten am Instrument. Sie ist Bratschistin der Anhaltischen Philharmonie. Corona hat das Orchester ausgeknockt. Gemeinsames Musizieren - so richtig geht das wegen des Ansteckungsrisikos schon seit März nicht mehr. Wann Proben und Auftritte in großer Besetzung indes wieder möglich sind - keiner weiß es.
„Und das ist der Unterschied zwischen Studienzeiten und der Lage jetzt: Damals wusste man, wann es wieder los geht“, beschreibt Kambourova die Misere, in der das Orchester steckt. Gefangen in der Kurzarbeit harren die Musiker auf Perspektiven.
Doch die gibt es nicht. Das am vergangenen Dienstag verkündete Ende der Spielzeit des Anhaltischen Theaters hat die Ungewissheit vertieft. Und: „Derzeit sieht es nicht einmal so aus, als ob wir die kommende Spielzeit mit unserem großen Eröffnungskonzert beginnen können“, so Fagottist Ulrich Jäger-Marquardt.
„Wir haben die ganze Zeit auf Vorgaben vom Land gewartet, aber das funktioniert so einfach nicht“
„Diese Perspektivlosigkeit setzt uns richtig zu“, ergänzt David Werner (Oboe). „Wir brennen darauf, wieder vor Publikum Musik zu machen.“ Um diesem Ziel näher zu kommen und zumindest kleinere Konzert-Formate auf die Beine zu stellen, wollen Kambourova, Werner und Jäger-Marquardt, die zusammen den Orchestervorstand bilden, selbst handeln.
„Wir haben die ganze Zeit auf Vorgaben vom Land gewartet, aber das funktioniert so einfach nicht. Wir müssen die Sache umdrehen“, sagt Jäger-Marquardt. Mit seinen Kollegen wolle er sich selbst Formate überlegen und schauen, wie sie unter Corona-Regeln umsetzbar seien.
Konkrete Ideen gibt es schon. Das Theater hatte Ende Juni an drei Terminen eine große Open Air Operngala vor dem Mausoleum im Dessauer Tierpark geplant, die abgesagt wurde. Der Orchestervorstand will sich damit nicht vollends abfinden. „Wir wollen vor dem Mausoleum zumindest in kleiner Besetzung ein kurzes Kammerkonzert spielen und uns damit vom Publikum in die Sommerpause verabschieden“, erklären sie das Vorhaben. Aus ihrer Sicht ist dies machbar, da im Freien Abstände leicht eingehalten werden könnten.
Open Air Operngala braucht noch einen Veranstalter
Schwieriger scheint die Organisation zu sein, da das Theater nicht selbst als Veranstalter auftreten kann. „Wir sind ja alle in Kurzarbeit, da können wir für so ein kleines Format nicht raus“, erklärt Jäger-Marquardt. Zwar wollten sie ehrenamtlich spielen, trotzdem brauche es einen Veranstalter für das Event. „Wir hoffen da auf den Verein der Tierparkfreunde Dessau.“ Doch es gebe noch andere Unbekannte.
Für das Konzert wäre laut David Werner ein Ensemble von vielleicht 16 Musikern denkbar. „Mehr geht mit Abstand nicht.“ Vorerst müssen sich jedoch erst einmal Freiwillige aus den Reihen der Philharmonie dafür finden. Erst dann sehe man, welche Instrumentengruppen vertreten seien und erst danach könne man darüber nachdenken, welche Stücke möglich wären.
Ein bisschen fühlt man sich im Orchestervorstand dieser Tage wie Konzertmanager
Unklar ist momentan ebenfalls noch, ob und wie Proben stattfinden können. „Wir hoffen, dass wir im Juni unter radikalen Hygiene-Vorkehrungen wieder im Theater proben können“, so Jäger-Marquardt. Ob das klappt, hängt auch von der Ende des Monats erwarteten sechsten Eindämmungsverordnung des Landes ab.
Und dann stellt sich schließlich noch die Frage nach der Bühnen- und Lichttechnik. Auch hier hofft der Orchestervorstand auf freiwillige Theatermitarbeiter. Ein bisschen fühlen sich Werner, Kambourova und Jäger-Marquardt dieser Tage wie Konzertmanager, die fast mehr in Videochat-Konferenzen hängen als sie ihr Instrument spielen.
Zehn-Minuten-Konzerte im Luisium im Eins-zu-eins-Format geplant
Wie optimistisch sie sind, dass ihr Plan funktioniert? „Im Moment glaube ich zu mehr als 50 Prozent, dass es stattfindet und ich lasse mich nicht verdrießen“, sagt Jäger-Marquardt. „Wir sind so viele Leute, wir schaffen das.“ Generalintendant Johannes Weigand und Generalmusikdirektor Markus L. Frank stünden jedenfalls hinter ihnen. Frank wäre laut Orchestervorstand auch bereit, das Kammerkonzert vor dem Mausoleum zu dirigieren.
Doch noch eine weitere Idee nimmt gerade Gestalt an: „Wir planen Zehn-Minuten-Konzerte im Luisium im Eins-zu-eins-Format.“ Der Plan: Ein Musiker spielt ein zehnminütiges Konzert für einen Zuschauer. Danach geht der Zuschauer weiter und der nächste kommt. Dazu sollen Musik-Freunde Zeitfenster buchen können. „Wir haben das mit dem Freundeskreis des Dessauer Theaters auf den Weg gebracht“, erklärt Kambourova. Die Aktion könnte bereits am kommenden Wochenende starten. (mz)