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Nicht jeder blaue Fleck war ein Schlag

01.03.2007, 17:15

Dessau/MZ. - Welche Handlungsmöglichkeiten die Ämter in solchen Fällen wirklich haben, und wie das Frühwarnsystem in Dessau organisiert ist, fragte MZ-Redakteurin Sylke Kaufhold die Jugendamtsleiterin Heike Förster und die Leiterin des Sozialen Dienstes, Cornelia Schlüter.

Nicht jeder blaue Fleck ist das Resultat von Schlägen. Wann wird das Jugendamt aktiv?

Förster: Es ist in der Tat sehr schwierig für uns einzuschätzen, ob wirklich Gewalt vorliegt. Deshalb gehen wir mit Rücksicht, aber auch mit dem notwendigen Nachdruck vor. Grundsätzlich gehen wir jedem, auch anonymen, Hinweis nach. Die Mitarbeiter in den Kindertagesstätten sowie in den Kinder- und Jugendeinrichtungen sind angehalten, bei dem geringsten Verdacht einer Gefährdung tätig zu werden.

Schlüter: Dafür haben wir einen Handlungsleitfaden erstellt, der festlegt, wann das Amt einzuschalten ist, wo es anderweitige Hilfe gibt. Die Fachkräfte sind angehalten und entsprechend geschult, selbständig tätig zu werden und nicht auf uns zu warten.

Ist diese Vorgehensweise neu?

Förster: Nein, wir arbeiten schon seit Jahren auf diese Weise eng zusammen. Grundsätzlich gilt, wer den Verdacht einer körperlichen Misshandlung hat, muss tätig werden. In der Regel werden wir dann informiert.

Was unternimmt das Jugendamt dann?

Schlüter: Wir nehmen immer zuerst Kontakt zu den Eltern auf, um uns ein Bild von der häuslichen Situation zu machen und überprüfen dabei natürlich auch, ob der Verdacht begründet sein kann. Oberste Priorität für uns ist der Schutz der Kinder.

Förster: Wir wissen, dass es immer noch eine Negativ-Einstellung zum Jugendamt gibt und die Leute glauben, wir nehmen ihnen die Kinder weg. Das ist der allerletzte Weg. Und diese Entscheidung treffen auch nicht wir, sondern müssen das Familiengericht einschalten. Unsere Aufgabe ist die Stabilisierung der Familie. Deshalb bieten wir konkrete Hilfen zur Erziehung an, um eine Heimeinweisung zu vermeiden. Viele nehmen diese Angebote dankbar an. Das Recht der Familie auf Hilfe ist aber bei den wenigsten bekannt.

Was ist mit den Kindern, die keine Kindereinrichtung oder regelmäßig den Kinderarzt besuchen?

Schlüter: Bei den 0 bis 2-Jährigen gibt es in der Tat eine Lücke. Ein gute Zusammenarbeit gibt es bereits mit den Kinderärzten und dem Klinikum, die uns bei Verdachtsfällen informieren. Wir wollen aber ein Frühwarnsystem aufbauen, in das wir auch das Gesundheitsamt sowie die Schwangerenberatungsstellen, Frauenärzte und die Hebammen involvieren. Unser Ziel ist es also, verstärkt präventiv tätig zu werden und so zeitig wie möglich Hilfe anzubieten.

Die Dienstzeit des Jugendamtes endet am Nachmittag. Müssen Notfälle bis zum nächsten Morgen warten?

Schlüter: Natürlich nicht. Die Fachkräfte des Amtes sichern einen Rufbereitschaftsdienst rund um die Uhr, montags bis sonntags ab. Im Notfall wird die Kollegin von der Rettungsleitstelle, die außerhalb der Dienstzeit über die 2040 zu erreichen ist, oder die Polizei benachrichtigt und fährt dann zum Hausbesuch bzw. nimmt das Kind in Obhut und verständigt die Eltern. Dank dieser Dienst-Organisation können wir jederzeit schnell reagieren.

Hat die Zahl der Gewaltfälle an Kindern in letzter Zeit zugenommen?

Förster: Das ist nicht erkennbar. Problemfälle hat es schon immer gegeben und wird es immer geben. Allerdings hat sich die Problemsituation in den Familien verschärft, was aber nicht folgemäßig zu mehr Gewalt führt. Zugenommen hat der Hilfebedarf insgesamt, da die Probleme vielschichtiger geworden sind.