Naturkundemuseum Naturkundemuseum Dessau: Archäologe Hans-Peter Hinze hat sich in den Ruhestand verabschiedet

Dessau - „Archäologe ist ein Beruf für Menschen, deren Laufbahn in Trümmern liegt.“ Dieses witzige Kalenderblatt hängt am Arbeitsplatz von Hans-Peter Hinze in der Außenstelle des Museums für Naturkunde- und Vorgeschichte. Jetzt hat es einen bitteren Beigeschmack bekommen. In dieser Woche hatte der Archäologe seinen letzten Arbeitstag.
Wie es hier weitergeht, ist fraglich. Und damit auch, was aus dem Stück Stadtgeschichte wird, das Hinze und seine Vorgänger seit dem 19. Jahrhundert aus dem Dessauer Untergrund ans Licht geholt haben. Über 5.000 Fundkomplexe und Funde schlummern in Kisten und Regalen. Vieles ist noch nicht aufgearbeitet.
Hans-Peter Hinze: Vom Elektromaschinenbauer mit Abitur zum Archäologen
Einen „Hang zu Abenteuer und Expeditionen“ habe er schon immer gehabt, schmunzelt Hinze. Dass er, der in Ziebigk aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, hier auch seine Frau kennengelernt hat, aber mal Archäologe wird, war nicht abzusehen. Kunstgeschichte wollte der heutige 63-Jährige studieren, war im Zirkel des Malers Rudolf Hugk. Über Zickzack-Wege - Elektromaschinenbauer mit Abitur, Museumsassistent in der Gemäldegalerie, Armeezeit, erneute Ausbildung und Arbeit als Schriftretuscheur und Reprofotograf - kam er vor über 35 Jahren zum Naturkundemuseum.
Wurde Nachfolger von Gerhard Lattauschke, in dessen Arbeitsgemeinschaft Geologie, Ur- und Frühgeschichte er schon ehrenamtlich tätig war. Er drückte erneut die Schulbank, studierte nach Feierabend Archäologie.
Die Arbeitsgemeinschaft wurde neu gegründet. Je 20 bis 30 Leute kamen zu Vorträgen und Exkursionen. „Die Menschen sehen ihre Umgebung mit anderen Augen“, weiß er, dass sich so „Heimatliebe entwickelt“. Andreas Ohse, heute Vorsitzender der Mitteldeutschen Gesellschaft für Industriekultur, war dabei oder das langjährige Mitglied Wolfgang Kühnert.
Für die Stadt Dessau und den ehemaligen Landkreis Roßlau war Hinze zur DDR-Zeit Bodendenkmalpfleger
Viele junge Leute konnte er begeistern. Vier sind Archäologen geworden, zwei Historiker, eine Ägyptologin und zwei Biologen. „Da weiß man, dass man Spuren hinterlassen hat“, ist er stolz, doch sagt er auch verbittert: „Jetzt bricht nicht nur für die Arbeitsgemeinschaft der Inhalt der Freizeitgestaltung weg. Auch Heimatvereine haben keinen Ansprechpartner mehr. Ein Haufen Identität geht verloren.“
Für die Stadt Dessau und den ehemaligen Landkreis Roßlau war Hinze zur DDR-Zeit Bodendenkmalpfleger, später kamen der Wörlitzer Winkel, Bereiche um Zerbst und Aken dazu. Die Arbeit über Kreisgrenzen hinweg? „Ganz unproblematisch“, staunt er heute.
„Es ist nicht nur ein Rückblick, sondern auch immer ein Blick in die Zukunft“
Auch nach der Wende gab es viel zu tun in der archäologischen Denkmalpflege. Also hat er weiter Ausgrabungen gemacht. „Das hat der Stadt Dessau viel Geld gespart“, sagt Hinze - bis seine Mitarbeiterin in ein anderes Amt versetzt wurde und von nun an das Landesamt für Denkmalpflege die Ausgrabungen übernahm, wofür die Stadt zahle müsse.
Ob Burg Roßlau, Romanjukplatz, Dessau-Center, IHK-Gebäude, Deichbaumaßnahmen, Flugplatzerschließung: Überall wurde geborgen und dokumentiert. Von Hinze, Mitarbeitern und vielen Ehrenamtlichen der Arbeitsgemeinschaft. Aus den Spuren - kulturellen Sachzeugen wie Keramik aber auch Pflanzenresten - kann herausgelesen werden, wie sich die Stadt entwickelt hat. „Es ist nicht nur ein Rückblick, sondern auch immer ein Blick in die Zukunft“, findet er.
Funde herauszuheben, fällt Hinze schwer. Aber herausragend sei schon, wenn er Feuersteinwerkzeuge gefunden habe, „die einst Leute in der Hand hatten, die als Jäger lebten“. Auch der Fund des Treueringes in Roßlau oder die Freilegung der Grabplatten in der Marienkirche waren besonderes. Herausragend war auch, der „Prä-Anhalterin Charlotte“, die vor rund 6.200 Jahren lebte, mit Hilfe anderer Wissenschaftler ein Gesicht zu geben, ihr Leben zu rekonstruieren.
Hans-Peter Hinze hat nun mehr Zeit für Familie, malen, reisen und endlich sein Kanu zu Wasser zu bringen
Sein Wissen habe er gerne weitergegeben, erzählt Hinze von Vorträgen bei Vereinen, Fachvorträgen auf Tagungen und zahlreichen Publikationen - lokale wie der „Dessauer Kalender“ oder überregionale wie „Botschaften in Stein“. Hinze erinnert darin mit anderen an den Felsbildforscher Dietrich Evers.
Solche und viele andere Werke sind in der Fachbibliothek des Museums zu finden. Auch hier steht die Frage: Was wird daraus? Wie überhaupt aus den Museen, wo Geld und Personal immer knapper wurden. „Die Stadt müsste sich zu ihrer Kultur bekennen“, wünscht sich der Archäologe, dürfe deren Potenzial nicht länger verkennen.
Er selbst hat nun mehr Zeit für seine Steckenpferde, seine Familie, will vielleicht wieder malen, auf alle Fälle mehr reisen und endlich sein Kanu zu Wasser bringen. „Das habe ich in diesem Jahr noch nicht geschafft.“ (mz)
