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Ein Zeitzeuge erinnert sich Nach dem Kriegsende vor 76 Jahren waren die Folgen in Dessau noch lange spür- und sichtbar

Eine Zeitzeuge erinnert sich an Kindheit und Jugend in Ziebigk.

Von Danny Gitter 10.05.2021, 11:51
Von vielen Häusern standen nach Kriegsende nur noch ein paar Wände, wie hier in der Kornhausstraße
Von vielen Häusern standen nach Kriegsende nur noch ein paar Wände, wie hier in der Kornhausstraße (Foto: Stadtarchiv)

Dessau - Die Narben des zweiten Weltkrieges sind tief in Dessau und an einigen Stellen der Stadt noch heute sichtbar. Erhardt Berner, heute 76 Jahre alt, erinnert sich noch heute an das Schreckensbild, das die Stadt nach Kriegsende bot.

Zwar fand am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg in Europa sein Ende. Die Welt konnte aufatmen. Doch die Spuren der Kriegsereignisse blieben noch sehr lange präsent. Auch Dessau erholte sich sehr langsam davon. „Meine Geschwister und ich waren erschrocken, als wir 1954 hierher zogen“, erinnert sich Erhardt Berner.

Er, 1947 geboren und in Sibbesdorf im Kreis Köthen aufgewachsen, hatte eine behütete Kindheit in dörflicher Idylle. Kriegsschäden kannte das Dorf mit seinen damals 60 Seelen nicht. Den 7. März 1945 erlebten die Eltern im Kreis Köthen aus sicherer Entfernung.

Erhardt Berner erinnert sich an die Nachkriegszeit in Ziebigk
Erhardt Berner erinnert sich an die Nachkriegszeit in Ziebigk
(Foto: Danny Gitter)

Am 8. Mai 1945 war Dessau bereits von Amerikanern besetzt

Wenn sie ihm, seinem Bruder und seiner Schwester vor 1954 vom Krieg und der Bombennacht über Dessau erzählten, dann klang das wie ein Schrecken irgendwo in der Ferne. Doch die Eltern waren so nah dran, dass sie das Flammenmeer über der Stadt und das Dröhnen der Bomberverbände miterlebten. Doch im Dorf ging der Alltag danach weiter.

Dessau dagegen hatte noch lange mit den Folgen der Bombennacht zu kämpfen. Am 8. Mai 1945 war die Stadt bereits von Amerikanern besetzt, die wenig später das Kommando an die Sowjettruppen übergaben. Das Kriegsende sollte einen Wendepunkt einleiten.

Doch, um sich vom Krieg zu erholen, brauchte es noch viele Jahre. 1954 kehrte der Vater von Erhardt Berner mit seiner Familie in die Stadt zurück, in der er vorher als Dreher bei den Junkerswerken arbeitete. Im Krieg wähnte er seine Familie auf dem Land in größerer Sicherheit.

 Trümmerhaufen rund um die Christuskirche
Trümmerhaufen rund um die Christuskirche
(Foto: Stadtarchiv)

„Viele Gebäude in den umliegenden Straßen waren zu dieser Zeit noch stark beschädigt“

Doch mit dem Leben als Neubauer konnte er sich nicht so richtig anfreunden. Im Zementanlagenbau wurden Dreher gesucht. In Ziebigk, in der Saalestraße 16, fand er für seine Familie und sich ein solides Eigenheim, mit dichtem Dach und gut ausgebauten einzelnen Räumen. Eine Selbstverständlichkeit war das in dem Quartier drumherum nicht. „Viele Gebäude in den umliegenden Straßen waren zu dieser Zeit noch stark beschädigt“, erinnert sich Berner. Die Familie, allen voran die Kinder, brauchten erst einmal eine gewisse Zeit, um sich an das Umfeld zu gewöhnen.

Doch der Vater kümmerte sich zusätzlich als Wohngebietsausschussvorsitzender auch darum, dass es in Ziebigk weiter voran ging. Schrebergärten, Baumaßnahmen, Umfeldgestaltung. Da vermittelte er vor Ort zwischen der Stadt und den Bürgern. Vieles lag damals noch im Argen. So hatte selbst neun Jahre nach Kriegsende die Schule in der Schulstraße noch immer mit kaputten Gebäudeteilen zu kämpfen, die nicht für den Unterricht genutzt werden konnten.

Obwohl er in der Nachbarschaft der Schule wohnte, wurde Erhardt Berner nach dem Umzug im Herbst 1954 in der weiter entfernten Friedensschule in die zweite Klasse eingeschult. Erst sechs Jahre später bot man ihm den Wechsel in die Schulstraße an. Anfang der 1960er Jahre war das Gebäude fast vollständig wieder aufgebaut. Doch er blieb der Friedensschule treu.

Ab den 1960er Jahren wurden die Ruinen in Ziebigk und der Stadt immer weniger

Die Kindheit und Jugend im zerstörten Ziebigk beschreibt Erhardt Berner auch als glücklich und geborgen. „Man spürte damals den Drang bei allen Generationen alles wieder aufzubauen“, sagt er. Die Hilfsbereitschaft war groß. Für ihn und seine Klassenkameraden war es selbstverständlich auch Steine zu putzen und Schrott zu sammeln, um einen Beitrag zum Wiederaufbau zu leisten. „Natürlich waren die Ruinen auch ein großer Abenteuerspielplatz“, erinnert sich Erhardt Berner. Manchmal warteten auch Mutproben, wie etwa im Mausoleum, wenn es dort galt fehlende Stufen zu überwinden. Ernsthaft verletzt hatte sich zum Glück niemand.

Ab den 1960er Jahren wurden die Ruinen in Ziebigk und der Stadt immer weniger. In der Schule wurden der Krieg und seine Folgen aufgearbeitet. „Im Elternhaus konnte man erst recht spät darüber sprechen“, konstatiert Erhardt Berner, der in den 1970er Jahren nach einer Ausbildung mit Abitur als Maschinen- und Anlagenmonteur nach Dessau-Süd umzog. Um so wichtiger ist es ihm, dass auch die junge Generation, die Krieg und seine Folgen nur aus Geschichtsbüchern kennt, sich bewusst ist, was für ein Glück es ist, in Frieden zu leben. Für ihn persönlich ist der 8. Mai daher jedes Jahr auch ein Tag des Mahnens und Gedenkens. „Wir sollten niemals vergessen, wie lange der Zweite Weltkrieg in Dessau noch immer nachwirkte“, sagt der heute 74-jährige Dessauer. (mz)