Mord in Dessau Mord in Dessau: Eltern der getöteten Chinesin zwischen Trauer und Verzweiflung
Dessau - Sie sind nun in der Stadt, in der ihre Tochter zwei Jahre lang wohnte. Dort, wo Yangjie Li ihre Zukunft gestalten wollte. Am Sonnabendvormittag steht der groß gewachsene Mann im Zimmer seiner Tochter. Ein Einkaufskorb steht noch auf dem Boden. Er ist nicht ausgepackt. Unterlagen zum Lernen und Notizen liegen offen auf dem Tisch. Als ob sie jeden Augenblick zurückkehren würde. Es ist ein Moment, in dem selbst der Vater nur schwer die Fassung wahren kann.
Familie will abgeschirmt werden
Am späten Freitagabend sind die Eltern der ermordeten Studentin Yangjie Li in Dessau angekommen. Sie werden von vier Angehörigen aus der Provinz Henan begleitet. „Es liegt außerhalb von jeder Vorstellung, was die Eltern durchleiden. Wir können nur versuchen, für sie da zu sein und Halt zu geben“, sagt Rudolf Lückmann von der Hochschule Anhalt.
Der Professor und seine Frau Yili Lu, Koordinatorin für die Masterstudenten aus China, hatte die Familie am Freitag in Berlin vom Flughafen abgeholt. Die Hochschule hatte eine Wohnung in der Stadt organisiert. Das Paar begleitet die Angehörigen auf ihrem schwersten Weg ebenso wie sechs Studenten, die Yangjie Li sehr nahe standen. Die Familie will abgeschirmt werden.
„Die Mutter war anfangs fast nicht ansprechbar, sie ist voller Liebe für ihr Kind. Der Vater versucht, sich mit aller Kraft zusammenzunehmen“, sagt Lückmann. Zwischen Trauer und Verzweiflung stellen sie die Frage nach Gerechtigkeit: So schnell wie möglich solle der Täter gefasst und verurteilt werden.
Die 25-jährige Studentin war am 11. Mai als vermisst gemeldet und zwei Tage später missbraucht und ermordet in der Hausmannstraße gefunden worden. In dem Fall hat die Polizei die Ermittlungen nun verstärkt. Ab Montag wird eine eigens gegründete Ermittlungsgruppe „Anhalt“ ihre Arbeit aufnehmen.
Das Leid der Familie hinterlässt tiefe Traurigkeit
„Die Ermittlungen werden nun in größerer Personalstärke betrieben. Das Team arbeitet forciert an diesem Fall, es kann Hinweisen noch schneller und qualifizierter nachgehen“, sagt Sebastian Opitz, Sprecher der Polizeidirektion in Dessau. Ein Datenbank-Abgleich der gefundenen DNA-Spuren ist bislang noch nicht abgeschlossen.
Ergebnisse werden zu Beginn dieser Woche erwartet. Die Spurensicherung am Fundort in der Hausmannstraße und in der Wohngemeinschaft der Studentin ist dagegen beendet. Der Leichnam soll nach MZ-Informationen in dieser Woche freigegeben werden.
Bis Freitag sollen die Eltern in Dessau bleiben. Am Samstagvormittag waren sie an der Stelle, an der ihre Tochter gefunden worden war. Die Polizei hatte den Ort abgeschirmt. „Der Vater ist selbst Polizeibeamter und hat die Umgebung untersucht. Er stellte viele Fragen zu den Details“, so Lückmann.
Vor Ort hielten die Eltern ein Trauerritual ab. Die Mutter hatte ein weißes Kleid ihrer Tochter mitgebracht, das sie dort ablegte und wieder zusammenfaltete. „Es ist eine Tradition in Nordchina. Sie wird das Kleid nach China mitnehmen, um die Seele der Verstorbenen zurück zu bringen“, erklärt Yili Lu.
Freunden nehmen Abschied
In der Wohnung nur wenige Meter entfernt war am Freitag schließlich ein Tisch gedeckt: Ein halb gefülltes Glas Wasser, Obst, Joghurt, Käse und Nüsse. Es ist ein Abschied ihrer engsten Vertrauten. Ein Brauch, bei dem sie den Tisch in der Küche mit dem gedeckt hatten, was Yangjie Li gern aß. Mittwochnacht saßen die Freunde daran und gedachten ihr.
Das Zimmer der Tochter zu sehen, für ihre Eltern war das der schmerzvollste Moment. Dort zu stehen, wo ihr einziges Kind gelernt, gelacht und gelebt hatte, macht das Unfassbare vielleicht gegenwärtig, aber nicht begreifbar. Das Leid der Angehörigen hinterlässt auch bei den Begleitern tiefe Traurigkeit. „Es sind sehr harte Momente“, sagt Yili Lu.
Am Sonntag hatten die Eltern erste persönliche Dinge ihrer Tochter aus der Wohnung abgeholt. Sie wollen auch mit den Ermittlungsbehörden sprechen. „Sobald sie Kontakt aufnehmen, wird ein Gespräch möglich gemacht“, sagt Polizeisprecher Opitz. „Das ist selbstverständlich.“ (mz)