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Mit Kind ins Gefängnis? Mit Kind ins Gefängnis?: Drogensüchtige Mutter aus Dessau hofft auf Gnadenerlass

Von Heidi Thiemann 13.09.2016, 09:31
Die junge Mutter mit Kind und Hund.
Die junge Mutter mit Kind und Hund. Lutz Sebastian

Dessau - „Ich bin doch keine Verbrecherin.“ Yvonne Kummer (Name geändert), 24, schüttelt den Kopf. Am 16. September soll die junge Frau ihre Haftstrafe antreten. Sie fühlt sich ungerecht behandelt, weil sie gerade versucht, ihr Leben in den Griff zu bekommen - für sich und ihre zweijährige Tochter Milena. Wenn Milena nicht wäre, sagt sie, „hätte ich mir schon längst was angetan“.

Schon als sie 13 war, nahm sie Drogen

Aber die 24-Jährige weiß auch ganz genau: „Ich habe Scheiße gebaut.“ 13 Jahre alt ist Yvonne Kummer, als sie ihrer Mutter entgleitet. Sie wolle zelten fahren mit den Jungs aus ihrer Klasse, sagt der Teenager. Die Mutter ist dagegen. Eine Pizza, die gerade im Ofen gebacken wurde, landet im Gesicht der Frau, die zwei Töchter großzieht.

Fünf Jahre Altersunterschied haben die Mädchen. Die Größere, die heute im Rheinland lebt und Physiotherapeutin ist, macht der Mutter keine Probleme. Aber die Jüngere, die selbst sagt, „ich bin von allen verwöhnt worden“. Sie rebelliert und ist aggressiv. Sie nimmt Drogen, trinkt Alkohol, zieht mit Jungs um die Häuser, schwänzt die Schule und lässt sich von der Mutter nichts mehr sagen.

2013 wegen schweren räuberischen Diebstahls verurteilt

„An manchem Abend hat mich die Polizei angerufen und gesagt, ich solle meine Tochter vom Revier abholen“, ist Steffi Kummer ratlos.

Hausfriedensbruch, Ladendiebstähle, Schmiere stehen, während ihre Freunde in Supermärkten stehlen, die Liste der Delikte, die ihrer Tochter vorgeworfen werden, ist lang. Die „Karriere“ von Yvonne Kummer landet vor Gericht.

2013 wird sie wegen schweren räuberischen Diebstahls zu einer Jugendstrafe von zehn Monaten verurteilt, ausgesetzt zu zwei Jahren Bewährung. Die Bewährung ist mit mehreren Auflagen verbunden. 100 Stunden gemeinnützige Arbeit und Beratungsgespräche bei der Suchttherapie gehören dazu.

Dessauerin fällt zurück in den Drogensumpf

Zwar hat sie die Arbeitsauflage und Therapieanweisung vollständig erfüllt, wenngleich mit einer zum Teil schwangerschaftsbedingten zeitlichen Verzögerung. Doch die Bewährung wird im Februar 2016 vom Gericht widerrufen. Zum einen gab es eine Nachverurteilung wegen gemeinschaftlichen Diebstahls, zum anderen auch, weil Yvonne Kummer rückfällig geworden ist.

Sie hatte wieder Drogen genommen - Cannabis und Opiate. Ihre Bewährungszeit war deshalb verlängert worden. Und sie hatte eine verordnete Entgiftung abgebrochen und einen Drogentest nicht durchgeführt. Schuldhaft nach Ansicht des Gerichts. Die Gründe der 24-Jährigen sieht man als Ausflüchte an.

Entgfitung abgebrochen - Bewährung widerrufen

Ihren Rückfall nach der Geburt der Tochter erklärt Yvonne Kummer mit Schmerzen und falschen Freunden, von denen sie sich mittlerweile gelöst habe. „Ich habe gemerkt, dass ich das alles nicht mehr brauche.“ Und die abgebrochene Entgiftung? „Zwei bis drei Wochen hatte man mir gesagt, soll die dauern.“

Ihre Mutter hatte Urlaub genommen, um sich um die Enkeltochter zu kümmern. Doch in Bernburg erfuhr sie, die Entgiftung bräuchte sechs bis neun Wochen Zeit. „Wie soll das denn gehen, wer soll sich um Milena kümmern?“ Die Dessauerin fährt noch am selben Tag zurück nach Dessau, geht zu ihrem Hausarzt, der sie seitdem behandelt, um die Sucht zu überwinden.

„Ich mache doch wirklich alles, um davon loszukommen“, versteht Yvonne Kumme nicht, warum die ambulante Behandlung bei ihrem Hausarzt weniger wert sein soll als die stationäre Entgiftung in Bernburg.

Wie Yvonne Kummer ihr Leben in den Griff bekommen will

Die stationäre Behandlung war eine Auflage des Gerichts, sagt ihre Anwältin Susanne Hiltrop, die fürchtet, dass die Bemühungen von Yvonne Kummer, ihr Leben jetzt in den Griff zu bekommen, zu spät kommen.

Im August hat die Dessauerin eine Ausbildung zur Kinderpflegerin angefangen, konnte sie aber nicht fortsetzen, weil ihr das Führungszeugnis fehlt. Mit ihrer Familienhelferin ist sie deshalb erneut auf Lehrstellensuche. „Ich brauche doch etwas, um Milena und mich versorgen zu können.“ Eine Einsicht, die sie vor einem Jahr noch nicht hatte. „Damals war ich vom Kopf her noch nicht soweit.“ Doch die Geburt von Milena, sagt Steffi Kummer, habe bei ihrer Tochter Positives bewirkt.

Was wird aus ihrer Tochter, wenn Kummer in Haft geht?

Doch was wird, wenn Yvonne Kummer die Haftstrafe antritt? Wer kümmert sich dann um das Kind? Die Oma? Steffi Kummer ist Verkäuferin, geht in der Frühschicht halb sechs auf Arbeit, und kommt von der Spätschicht erst nach 21 Uhr heim. So lange habe doch keine Kindereinrichtung auf, sagt sie. Wahrscheinlich müsse sie sich dann mit dem Kindsvater reinteilen, sagt die 50-Jährige.

„Das ist die Umgebung, aus der ich selber raus möchte. Und das Kind kommt dann da rein“, erklärt ihre Tochter.

Kummers Anwältin hat die gemeinsame Unterbringung mit Kind in einer Haftanstalt beantragt. Diese Möglichkeit für weibliche Gefangene aus Sachsen-Anhalt besteht laut Vereinbarung mit dem Land Brandenburg in der Außenstelle Spremberg der JVA Luckau-Duben. Dort gibt es 20 Haftplätze für Frauen im offenen Vollzug.

„Die angestrebte Unterbringung bedarf der jeweiligen Prüfung im Einzelfall“, sagt Detlef Thiel, Sprecher im Magdeburger Justizministerium. „Zu den Voraussetzungen gehören u. a. die Zustimmung des Jugendamtes, die Persönlichkeitsbeurteilung der Mutter, deren Eignung für eine Unterbringung im offenen Vollzug sowie die Kostenabsicherung für die Versorgung des Kindes.“

Unabhängig von einer Unterbringung im offenen Vollzug besteht die Möglichkeit der Unterbringung von Mutter und Kind im Rahmen einer Kooperation mit Berlin und Niedersachsen in der JVA Vechta, so Thiel.

Gnadengesuch an den Staatsanwalt

Kummers Anwältin hat darüber hinaus ein Gnadengesuch per Fax der Staatsanwaltschaft zugestellt. Das sei die letzte Möglichkeit, den Strafantritt vielleicht doch noch zu verhindern.

Der Leitende Oberstaatsanwalt, in dessen Bezirk die erstinstanzliche Entscheidung ergangen ist, ist nach den Regelungen der Gnadenordnung für das Land Sachsen-Anhalt befugt, die abermalige Aussetzung der Vollstreckung einer zehnmonatigen Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen, erklärt Ministeriumssprecher Thiel. Ob Aufsicht auf Erfolg besteht? „2015 wurden 62 Gnadengesuche eingereicht. In zwölf Fällen erging ein Gnadenerweis“, sagt er. 2014 waren von 67 Gesuchen zehn erfolgreich.

Mit dem Gedanken, am Freitag die Haft antreten zu müssen, kann sich Yvonne Kummer nicht anfreunden. „Das ist mir wirklich nicht egal.“ Da ist nicht nur die Sorge um Milena und die Ausbildung. Da ist auch die Sorge um die Wohnung. Und was wird aus Hund Flecky? Die Hoffnung auf eine Begnadigung oder zumindest auf eine Unterbringung mit ihrer Tochter will sie nicht aufgeben. (mz)