MZ-Weihnachtsserie Mein besonderes Weihnachtsfest: Als Kerzen zur Christvesper in Neeken Einzug halten
Warum die Weihnachtsgottesdienste in Neeken von unvergleichlicher Stimmung und Romantik sind. Pfarrer liest Predikt im Kerzenlicht Historischer Kirchbau hat nach denkmalgerechter Sanierung bis heute keinen Strom.
Neeken/MZ. - Kalendarische Rückblende auf Heiligabend 1999: Es ist Freitag und die Weihnachtsfeiertage fallen in jenem Jahr komplett auf das Wochenende. Nicht sonderlich beliebt für Berufstätige und „Brückentagsfreunde“. Für Jürgen Tobies aber wird es das erste Fest, das er als evangelischer Pfarrer in und mit Gemeinden der Parochie Roßlau feiert.
Gekommen aus Potsdam, hat der junge Geistliche neben Pfarrer Gerhard Pfennigsdorf in diesem Jahr gerade die zweite Pfarrstelle in Roßlau übernommen. Und hat die Menschen im Elbestädtchen sowie nach seiner ersten „Rundreise“ die Christen der einzelnen Gemeinden als ebenso freundlich wie ambitioniert kennengelernt.
Wichtige Rolle für Kerzenhalter
Zur Christvesper in der Patronatskirche Neeken am Heiligabend aber hat der neue Pfarrer ein Problem. Vor 25 Jahren war das kleine Gotteshaus dem Verfall überlassen und preisgegeben worden. Ein dichter Moosteppich bedeckte den Boden, am Schnitzwerk der Emporen labten sich von drei Seiten die Holzwürmer. Nässe kroch das Mauerwerk hinauf. Ein Heiligabend ohne Gottesdienst war im Dorf undenkbar. Als Ausweichquartier kam die Feuerwache auf der gegenüberliegenden Straßenseite ins Spiel. Pfarrer Tobies aber lud 1999 seine Gemeinde zur Christvesper in die alte Patronatskirche. Für die Beleuchtung sollten die Besucher bitte ein paar Haushaltskerzen mitbringen.
Und so erleuchtete im Sitzgestühl Kerzenschein die Gesangsbücher für die Gemeindemitglieder. Bis zum Altar aber reichte die Helligkeit nicht. Und dort stand der Pfarrer mit Blick auf seine Gemeinde. In den Händen die Predigt und Liedtexte. Das Gesicht zerfurcht vom Grübeln und die Augen zusammengekniffen. Die Gottesdienstbesucher wechseln Blicke. Und plötzlich erhebt sich aus den Bänken ein kleiner Junge, stellt sich wortlos rechts neben Pfarrer Tobies und hält seine Kerze so hoch, dass deren Licht genau auf den zu lesenden Text fällt.
Dieses Zeremoniell wird in den Folgejahren zur unendlichen Geschichte. Der zu Beginn Sechsjährige wuchs heran von Hüft- auf Augenhöhe des Pfarrers, dem er zu Heiligabend das Licht reichte. „Das ist immer sehr schön, romantisch und schafft die richtige Weihnachtsstimmung“, liebt Pfarrer Tobies die besondere Christvesper.
Inzwischen ist Jürgen Tobies 25 Jahre Pfarrer in Roßlau und Region sowie Kreisoberpfarrer im nordelbischen Kirchenkreis Zerbst der Evangelischen Landeskirche Anhalts. Die Reihe der „Kerzenhalter“ in Neeken hat sich gewandelt und erweitert. Der Erste von 1999, Enkel einer in Neeken lebenden Christin, hat inzwischen mit 22 Jahren den eigenen Lebensweg eingeschlagen und kommt dann und wann zu Besuch.
Ausnahme gilt nur für Orgel und Stern
Im Lauf der Jahre wandelte sich mit denkmalgerechter Sanierung von 2007 bis 2015 das Antlitz der Parochiekirche Neeken gründlich. Heute ist sie wie ein verwunschenes Kleinod unter den klassischen Feldsteinkirchen der Region und gehört zu den interessantesten Gotteshäusern der Kunst- und Kulturlandschaft rund um Dessau-Roßlau. Ein herausstehendes Merkmal für ein aktives Gotteshaus im 21. Jahrhundert: Die Kirche an der Rodlebener Straße hat bis heute keinen Stromanschluss!
„Den wollen wir auch gar nicht, weil er hier nicht hingehört“, sagt Pfarrer Jürgen Tobies. Denn bis heute bergen die dicken Feldsteinmauern die original frühbarocke Ausstattung vom Wiederaufbau des Gotteshauses im 17. Jahrhundert nach dem 30-jährigen Krieg. Als Sponsoren agierten da Vertreter wohlhabender Rittergüter und Adelsfamilien. Die von Daviers erlangten das Patronat über Neeken.
Die neuzeitliche Restaurierung von Gebäude und Innenausstattung wurde 2015 abgeschlossen. Eine Ausstellung in der Herrenloge informiert mit Vorher-Nachher-Fotos über Details. Seit Mai 2015 hat die Kirche Neeken auch wieder eine Orgel. Das Instrument stand ursprünglich im Gemeindesaal von St. Marien Zerbst-Ankuhn.
Moment mal: Eine Orgel ohne Strom? Und wie kann der Weihnachtsstern von der Decke zum Altarraum leuchten? Keine Zauberei, klärt Jürgen Tobies lachend auf: Für diese zwei Ausnahmen im Advent führen Verlängerungskabel an die Steckdosen freundlich- spendabler Nachbarn.