Landgericht Dessau Landgericht Dessau: Mordprozess zieht sich mit Verfahrensfragen hin

Dessau/MZ/TST - Darf man einem Mann glauben, der bereits wegen schwerster Straftaten verurteilt wurde? Mehr noch: Darf man auf seine Aussage hin, mit der er andere be- und sich entlastet, eine Anklage stützen, für ihn gar ein Zeugenschutzprogramm aufnehmen? -
Am zweiten Verhandlungstag des Litauer-Prozesses vorm Dessauer Landgericht ging es einmal mehr um Verfahrensfragen und nicht um den angeklagten Mord an dem Münchner Mercedes-Transporter-Fahrer Ulf M. Anfang 2012 unweit von Roßlau. Verfügen die Verteidiger über alle Akten? Ist das Gericht richtig besetzt? All das gehört zu den bei großen Prozessen üblichen Themen, nicht zuletzt, weil die Verteidigung Nägel einschlagen will, an der sie eventuell später eine Revision des Urteils festmachen kann. Unbeteiligte mag das nerven oder empören – Richter können damit (meist) souverän umgehen.
Ungewöhnlich wird es, wenn ein Verteidiger versucht, gegen die Staatsanwälte im Sitzungssaal vorzugehen und ihnen Voreingenommenheit vorwirft. Zumal ein renommierter Strafrechtler wie der Frankfurter Thomas Scherzberg weiß: Staatsanwälte sind zwar zur Objektivität verpflichtet, können aber von keinem Gericht abberufen werden.
Vermutlich ging es dem Rechtsbeistand von Laimonas L. auch weniger um Manuela Naujok und Hermann-Josef Gerhards, die beiden Staatsanwälte. Als vielmehr um N.N., wie er im Gerichtsaushang ausgewiesen wird, einem Mitangeklagten von Laimonas L. Wie dieser und dessen Bruder wurde er vor wenigen Monaten in Neuruppin zu einer mehrjährigen Strafe verurteilt, wegen einer Tat, die viele Parallelen mit dem Roßlauer Fall aufweist – nur überlebte das Opfer.
N.N. heißt N.N., seit er gegenüber den Ermittlern im Fall Ulf M. auspackte und anschließend in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurde. Er schilderte die Abläufe sehr präzise, betonte aber erstens, von den brutalen Plänen der anderen nichts gewusst und zweitens die Opfer nicht angerührt zu haben. Die Neuruppiner Richter mochten ihm für den Brandenburger Fall keinen Glauben schenken, sprachen von „grotesken“ Einlassungen – ihr Urteil hielt der Revision beim Bundesgerichtshof stand. Warum die beiden Brüder N.N. entlasteten, darüber wurde in der Fontanestadt nur gemutmaßt: vielleicht hänge das mit einer Bandenstruktur zusammen, in der N.N. eine wichtige Rolle gespielt habe.
All dies sei den Ermittlern und der Polizei bekannt gewesen, trotzdem hätten sie über ein Zeugenschutzprogramm für den nunmehrigen N.N. verhandelt, wovon das Gericht erst in letzter Minute erfahren habe.
Die Angriffe Scherzbergs zielten zwar auf die Staatsanwaltschaft, dürfte aber vor allem N.N. gegolten haben und dessen Glaubwürdigkeit. N.N. tat Scherzberg den Gefallen – und ließ sich ohne Rücksprache mit seinen Verteidigern zu einer unbedachten Äußerung hinreißen: Er nehme sein Geständnis zurück.
Mochten N.N.'s Anwälte im Nachhinein die Ansage ihres Mandanten korrigieren – der wohl wichtigste Zeuge der Anklage hatte sich selbst beschädigt.
Das Verfahren soll am Montag fortgesetzt werden.