Jubiläum in Dessau Jubiläum in Dessau: 70 Jahre aufs Dach gestiegen

Dessau - Die Referenzobjekte sind sowohl in einer Mappe als auch im Hausflur in der Dessauer Wasserstadt 37 verewigt. Und Referenzen, die hat das Dachdeckerunternehmen von Juniorchef Frank Wehrmann genug. Dass beispielsweise das Dach der Dessauer Marienkirche selbst den heftigsten Stürmen bis heute standhält, darauf ist Dieter Wehrmann besonders stolz. „Jeden einzelnen Ziegel haben wir verschraubt“, erinnert sich der Altmeister an den Wiederaufbau der Marienkirche vor über 20 Jahren. Da ist es kein Wunder, dass die Empfehlungsliste der Firma sich ein wenig an bedeutenden historischen Gebäuden der Region orientiert. Auch am Johannbau haben die Dachdecker von Wehrmann ihre Handschrift hinterlassen. Oder bei der Kühnauer Kirche, der Kreuzkirche sowie an den historischen Postämtern in Köthen, Bitterfeld und Zerbst oder diversen Gebäuden im Gründerzeitviertel von Dessau-Nord.
Freitag ist für das Unternehmen aus der Dessauer Wasserstadt ein ganz besonderer Tag. Am 14. August vor 70 Jahren machte sich Richard Wehrmann selbstständig und legte damit den Grundstein für ein Unternehmen, das inzwischen in dritter Generation geführt wird. Sich im Dessau des Jahres 1945 auf eigene Füße zu stellen, muss eine riesige Herausforderung gewesen sein. Zur Erinnerung: Die Stadt wurde im Zweiten Weltkrieg zu 85 Prozent zerstört. Arbeit gab es demzufolge genug, denn jeder wollte ein Dach über dem Kopf haben. Aber Werkstätten, Arbeitsmaterial, Ausrüstung für einen Dachdecker waren Mangelware.
Mit Leiter und Handwagen
Bekannt ist, dass der damals über 50 Jahre alte Gründungsvater mit Handwagen und einer Leiter seine Aufträge erledigte und über eine Werkstatt in einer Ruine verfügte. Überliefert ist, dass Richard Wehrmann zuvor in einer Bauhütte gearbeitet hatte und nach 1945 alleine arbeiten wollte. „Er hat den Mut gehabt, sich in dieser Situation auf eigene Füße zustellen. Sehr häufig hat er für Lebensmittel gearbeitet, um seine Familie ernähren zu können“, erinnert sich Dieter Wehrmann.
Jede Zeit hat ihre Probleme und Zwänge. Soviel steht nach dem Rückblick der zweiten und dritten Dachdeckergeneration fest. 1966 übergab Richard Wehrmann - er war damals weit über 70 Jahre alt - sein Unternehmen in die Hände seines jüngsten Sohnes Dieter. Mit 14 Jahren hatte letzterer die Lehre beim Vater angetreten, um später Verantwortung im Familienunternehmen zu übernehmen. Mehrere Jahre vor der offiziellen Übergabe bereits leitete Dieter Wehrmann die Geschicke des Familienbetriebes. Offiziell war dies jedoch erst 1966 möglich geworden, erinnert er sich an den Druck und die Politik in der damaligen DDR. Selbstständig zu sein war kein Zuckerschlecken. Die, die damals das Sagen hatten, hätten es nur all zu gern gesehen, dass das kleine Dessauer Unternehmen Teil einer Produktionsgenossenschaft geworden wäre. Es gab mehrere Versuche, die Dachdecker zu enteignen und zu einer PGH zusammenzuschließen. „Mein Vater wurde bekniet, dass er die PGH gründen solle. Doch die Dachdecker schafften es, weiter privat arbeiten zu können. Sie haben zusammengehalten und gedroht, alles hinzuschmeißen. Was angesichts des Handwerkermangels in der DDR seine Wirkung nicht verfehlte“, sagt Frank Wehrmann
Lag die Anzahl der Beschäftigten in der DDR bei maximal acht Mitarbeitern (mehr war den Selbstständigen nicht erlaubt), stieg sie in den Bauboom-Jahren nach der Wende auf bis zu 20. Wie für viele Handwerksbetriebe in den neuen Bundesländern, stellte die neue Zeit enorme Anforderungen an die Wehrmann. „In der DDR wurde das Material zugeteilt, nach der Wende lagerten 28000 Artikel in der neu gegründeten Einkaufs- und Liefergenossenschaft der Dachdecker, zählt Altmeister Wehrmann ein Beispiel auf. Schulungen waren sowohl im Bereich des Materials und in der Buchhaltung unumgänglich.
Meister und Betriebswirt
Seit 2003 hat mit Frank Wehrmann die dritte Generation im Unternehmen die Geschicke der Firma in der Hand. Für diese Aufgabe hat sich der Meister zusätzlich durch ein Studium zum Betriebswirt gerüstet und sich neuen Aufgaben zugewandt. Wehrmann deckt noch immer Dächer, er baut auf Wunsch aber auch Dachterrassen. Frank Wehrmann arbeitet mit seinen sechs qualifizierten Mitarbeitern sowohl für die Industrie als auch für private Auftraggeber.
Zurück zum Hausflur im Firmensitz in der Wasserstadt 37 und zum Büro von Firmenchef Frank Wehrmann. Referenzobjekte sind dort im Bild zu sehen. Aber auch Erinnerungen. Dazu zählt ein Spruch, der noch von seinem Opa Richard stammt. „Arbeite und strebe, aber lebe“, mahnt es aus einem Bilderrahmen. Das galt in Zeiten, als Richard Wehrmann ab 1945 mit dem Handwagen unterwegs war. Der Spruch hat noch heute seine Berechtigung. (mz)