Integration Jobcenter Dessau-Roßlau: Libanesin hilft Flüchtlingen beim Start in ein neues Leben

Sie weiß, was Krieg und Flucht bedeutet: die Libanesin Sahar Awada. Die Wirtschaftsinformatikerin mit Masterabschluss gehört zum Integrationsteam des Jobcenters.
„Ich fühle mich sehr wohl hier“, sagt die 31-Jährige. Sie ist von Berlin nach Sachsen-Anhalt gezogen. Seit März begleitet die Libanesin in Dessau-Roßlau Flüchtlinge auf ihrem Weg in eine neue Zukunft - in einem unbekannten Land, fern der Heimat und der kulturellen Wurzeln. Überwiegend sind es junge Männer und Familien aus Syrien.
Eine Libanesin erklärt, was „typisch deutsch ist“
Die ostdeutsche Stadt mit rund 85.000 Einwohnern ist mit dem Bauhaus Dessau und weiteren Unesco-Welterbestätten bekannt als Ort des Aufbruchs. Doch 2005 ist die Kommune weltweit in die Schlagzeilen geraten. Der Asylbewerber Oury Jalloh kam bei einem Brand in einer Polizeizelle ums Leben. Die Stadt hat seither mit einem Negativimage zu kämpfen.
Ob Sahar Awadas Arbeit über das Übersetzen der arabischen Sprache ins Deutsche hinaus klappen wird? Ohne Konflikte, Abweisungen, Beleidigungen, Anfeindungen oder gar Handgreiflichkeiten - wenn eine Frau Männern mit arabischen Wurzeln erklären soll, was typisch deutsch ist? „Pünktlichkeit, Terminvergabe, sehr viel Formulare und Bürokratie“, sagt die Libanesin zu diesem Punkt.
Das sei angesichts der Vorurteile in der Gesellschaft von unterdrückten Frauen mit Kopftuch und dominanten arabischen Männern eine Herausforderung gewesen, schildert Geschäftsführerin Ines Blaschczok (52) anfängliche Bedenken. Nicht nur für Frau Awada, sondern auch für das Jobcenter. „Für mich ist es aber wichtig, dass alle im Jobcenter gleich behandelt werden, egal woher sie kommen“, sagt die Chefin der Behörde mit knapp 170 Mitarbeitern.
Wann Sahar ein Machtwort sprechen muss
Rund 6.700 Menschen, die zum Lebensunterhalt auf Hartz IV angewiesen und ohne Beschäftigung sind, werden im Dessauer Jobcenter betreut. Dazu gehören 560 Flüchtlinge. Laut Bundesagentur für Arbeit waren im Juli in Deutschland 141.000 geflüchtete Menschen arbeitslos gemeldet.
Ihren erster Kontakt haben die Kunden des Jobcenters in Dessau-Roßlau oft schon am Eingang mit der jungen Libanesin. Nach anfänglich skeptischen Blicken seien viele Flüchtlinge froh, in ihr eine Art Vertrauenperson gefunden zu haben, sagt sie.
Und das, nicht nur wegen der arabischen Sprache, sondern weil sie sich in die Sorgen, Anliegen und - manchmal auch zu hohen - Erwartungen hineinversetzen könne. Manchmal müsse sie auch ein Machtwort sprechen, sagt Awada und zeigt auf ein Schild in arabischer Schrift „Bitte leise sein“.
Das Schild hängt mehrfach in der Behörde aus. Schon diese Bitte sei ungewohnt für Menschen aus dem arabischen Raum. Sie kämen oft in Gruppen und heftig diskutierend zu einem Beratungstermin. „Manche wollen alles sofort und auf der Stelle geklärt haben, denken, es läuft alles wie von selbst“, sagt Awada. „Manchmal hilft aber schon ein Lächeln“, erklärt sie ihre Deeskalationsstrategie.
Vor 26 Jahren aus dem Libanon geflohen
Was Flüchtlinge an Schicksalsschlägen erfahren haben, was Krieg bedeutet, die Heimat, Familie und alles Vertraute mit der Flucht zurücklassen zu müssen - das kennt sie selbst nur zu gut. „Meine Eltern kamen vor 26 Jahren mit drei Kindern nach Deutschland. Damals war ich fünf und konnte kein Wort Deutsch“, sagt die Libanesin. Heute spricht sie akzentfrei.
Zehn Jahre lang habe ihre Familie nicht gewusst, ob sie als Flüchtlinge anerkannt oder ob sie zurück in das vom Bürgerkrieg gezeichnete Land geschickt wird. Die nervliche Belastung sei enorm gewesen. Die Familie konnte bleiben, sich in Berlin ein neues Leben aufbauen. Sahar Awada studierte. Heute ist sie verheiratet. Beruf, Familie, Tradition und Religion in Einklang zu bringen sei für sie ganz normal. Gegenüber Deutschen müsse sie sich aber dennoch oft erklären. Zum Beispiel, warum sie als Frau mit Hochschulabschluss ein Kopftuch trage.
Auch Sahar erlebt immer wieder Fremdenfeindlichkeit
„Ich kann doch integriert sein und trotzdem meinen Glauben leben, und für mich gehört das Kopftuch dazu“, sagt Awada. Fremdenfeindlichkeit habe sie aber auch erfahren. „Und sowas arbeitet hier“, habe ein deutscher Mann laut am Eingang des Jobcenters Dessau gesagt, als er sie sah.
Den Pöbeleien sei vom Sicherheitsdienst sofort Einhalt geboten worden. Sie habe mit festem Blick und erhobenen Hauptes darauf reagiert, aber nicht gesprochen. „Ich begebe mich nicht auf das Niveau von Beleidigungen. Ich würde doch auch niemals „Scheiß Deutscher“ zu jemandem sagen“. Umso enttäuschter sei sie, wenn sie auf der Straße, einfach so im Vorübergehen, „Scheiß Ausländer“ zu hören bekomme.
Die 31-Jährige rückt ihr seidendes Kopftuch zurecht und läuft in modischer Jeanskleidung aufrecht und lächelnd den Gang im Jobcenter entlang. Sie eilt zum Büro des Integrationsteams - pünktlich zum nächsten Termin. (dpa)