1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Dessau-Roßlau
  6. >
  7. Studentenzahlen im Blick: Immer weniger Studenten in Dessau: Wie sich die Hochschule Anhalt in Zukunft verändern muss

Studentenzahlen im Blick Immer weniger Studenten in Dessau: Wie sich die Hochschule Anhalt in Zukunft verändern muss

05.02.2017, 12:00
Der Campus der Hochschule Anhalt in Dessau: Etwa 1.400 Studenten studieren dort.
Der Campus der Hochschule Anhalt in Dessau: Etwa 1.400 Studenten studieren dort. Lutz Sebastian

Dessau - Die Hochschule Anhalt mit gut 8.000 Studierenden steht vor großen Veränderungen. In den kommenden Jahren werden sich die geburtenschwachen Jahrgänge auswirken. Zudem ist mit einer sinkenden Zahl an Studenten aus China zu rechnen, die derzeit die größte Gruppe an ausländischen Studierenden ausmacht.

Die Hochschule mit den drei Standorten in Dessau, Köthen und Bernburg orientiert sich deshalb neu und bemüht sich auch stärker um Nachwuchs aus anderen Ländern. MZ-Redakteurin Lisa Garn sprach darüber mit Professor Rudolf Lückmann. Er ist Ende 2016 erneut als Standortsprecher für Dessau und als Vizepräsidenten mit dem Amt „Internationales“ gewählt worden.

Die Hochschule Anhalt ist eine der größten des Landes und hat anteilog deutschlandweit die meisten ausländischen Studenten.

Herr Lückmann, derzeit studieren 1.400 Studenten in Dessau - ist das zu wenig, damit sich auch Effekte für die Stadt einstellen?
Lückmann: Der Standort ist ursprünglich für eine Kapazität von 1.200 Studenten ausgebaut worden. Viel mehr, als momentan eingeschrieben sind, ist nicht möglich. Mehr muss aber auch nicht sein. Die Stadt hat schon mannigfaltig von der Hochschule profitiert.

Dazu gehören nicht nur die wirtschaftlich positiven Effekte durch das Leben und Kaufen insbesondere der ausländischen Studenten, sondern auch eine Menge innovative Projekte. Zudem sind etliche Studenten nach ihrem Studium in Dessau geblieben und haben sich selbstständig gemacht. Sie finden sie bis in den Stadtrat hinein. Allerdings müssen wir uns in den nächsten Jahren mehr denn je bemühen, dieses Niveau zu halten.

Hochschulen in Sachsen-Anhalt klagen über rückläufige Studentenzahlen. Fürchten Sie um die Standorte der Hochschule Anhalt?
Lückmann: Die drei Standorte der sind stabil, aber wir müssen uns neu orientieren und strukturieren. Der demografische Knick, also die Auswirkungen der geburtenschwachen Jahrgänge, kommt auch bei uns an. Darunter haben vor allem die Hochschulen in Ostdeutschland zu leiden. In unserem Bundesland entscheiden sich durchschnittlich weniger Schüler für ein Studium. Dennoch werden mehr und mehr Fachleute gebraucht, so dass ein Studium an Bedeutung gewinnt. Das muss vermittelt werden. Der Bildungsmarkt ist aber schwieriger geworden, weil alle Hochschulen um die weniger werdenden jungen Menschen ringen.

„Studenten stammen aus rund 100 verschiedenen Ländern“

Nun hat Dessau vor allem einen hohen Anteil von internationalen Studenten. Kann der Rückgang so kompensiert werden?
Lückmann: Wir haben etwa 800 internationale Studenten in unterschiedlichen Studiengängen in Dessau, in den englischsprachigen Masterkursen und auch in den deutschsprachigen Bachelorprogrammen. Dadurch, dass wir frühzeitig auf Internationalisierung gesetzt haben, steht der Campus in Dessau auf sicheren Füßen. Die Studenten stammen aus rund 100 verschiedenen Ländern. Eine große Anzahl kommt auch aus Osteuropa, aus arabischen Ländern wie Iran und Irak, aber auch aus Pakistan. Die größte Gruppe machen aber Studierende aus China aus: 1.100 an allen drei Standorten, das ist die Hälfte von allen ausländischen Studenten.

Warum kommen sie vor allem aus China an die Hochschule Anhalt?
Lückmann: Das hat etwas mit der Geschichte zu tun. Ab den 80er Jahren erlebte China einen Boom der Wirtschaft, aber es gab nicht genug Fachleute. An Ingenieuren und Akademikern herrschte ein Riesenbedarf. Zudem bildete sich ein Mittelstand, der es sich leisten konnte, seine Kinder ins Ausland zu schicken. Ganze Familien sparen darauf, dass die oder der einzige Nachkomme eine gute Ausbildung bekommt, oder legen sogar zusammen.

Deutschland hat zudem in China einen guten Ruf. In den letzten zehn Jahren hat das Land aber den Bestand an eigenen Hochschulen verzehnfacht und dort auch die Ausbildung verbessert. Deshalb wird in Zukunft häufiger die Entscheidung fallen, dass das Kind doch im eigenen Land ausgebildet wird.

„Fachleute, die wir ausgebildet haben, kaufen in ihrem Heimatland deutsche Produkte“

Es werden weniger Chinesen an der Hochschule Anhalt studieren?
Lückmann: Deutschland hat insgesamt schrumpfende Studentenzahlen und damit wird auch für uns der Markt in China enger. Denn auch andere, bisher in der Internationalität schläfrigere, deutsche Hochschulen bemühen sich plötzlich an Orten in China um „unsere“ Studenten, wo wir zuvor waren. Deshalb werden die Zahlen von Studenten aus China in den nächsten Jahren sicher zurückgehen. Deshalb sind neue Strategien für die Internationalisierung notwendig.

Wir müssen uns mehr für Länder interessieren, die ebenfalls für die deutsche Wirtschaft interessant sind. Man darf nicht vergessen, dass die Ausbildung ausländischer Studierender kein Selbstzweck ist. Fachleute, die wir ausgebildet haben, kaufen in ihrem Heimatland deutsche Produkte, laden deutsche Firmen ein und so weiter. Wir bereiten der Industrie auch für Sachsen-Anhalt Märkte vor. Woher kommt denn unser starker Export nach China? Genau aus diesen Verbindungen.

Inwiefern spielt der Mord an der chinesischen Studentin Yangjie Li eine Rolle, wenn es um die Nachfrage des Standortes in Dessau geht?
Lückmann: Die derzeitige Entwicklung ist davon unabhängig. Es gab vereinzelt Absagen aus dem direkten Umfeld, aus dem Yangjie kam, aber nicht in größerem Maße. Für die betreffenden Studiengänge ist die Anzahl der Bewerber noch immer weit höher, als Plätze vorhanden sind.

Aber trotzdem ist es so, dass ich in vereinzelten Gespräche erfahre, dass das positive Bild von Deutschland gelitten hat. Hier hätte ich mir mehr Professionalität bei den Ermittlungen und ein sensibleres Umgehen seitens der Justizbehörden gewünscht.

„Wir sollten Osteuropa nicht aus den Augen verlieren“

Welche Länder kommen denn in Frage, um neue Studenten zu gewinnen?
Lückmann: Sicherlich stehen weitere asiatische Länder wie Indonesien und Vietnam im Fokus. Aber gerade in unserem Bundesland sollten wir Osteuropa nicht aus den Augen verlieren. Allerdings werden die Bedingungen kaum noch einmal so gut sein wie in China: Positives Deutschlandbild, Fehlbedarf an ausgebildeten Fachleuten, boomende Wirtschaft mit entsprechenden Einkommen, um ein Auslandsstudium zu bezahlen.

Es gäbe nur noch Indien mit einer vergleichbar großen Bevölkerung, aber dort orientiert man sich in den englischsprachigen Raum. Aber der Mix aus kleineren Ländern ist auch gut und birgt neue Chancen. Es ist besser, wenn die Nationalitäten gemischt sind.

Hat die Hochschule dafür ausreichend Angebote?
Lückmann: Wir müssen versuchen, auch englischsprachige Bachelor-Studiengänge anzubieten, das ist auch eine der großen Aufgaben der nächsten Jahre. Wir sind generell im Fachbereich Design und im Fachbereich Architektur, Facility Management und Geoinformation gut aufgestellt. Jetzt geht es darum, weitere Möglichkeiten zu erschließen. Ich sehe sie aber vielleicht sogar wichtiger im deutschsprachigen Angebot.

Wir müssen mehr Schüler erreichen, um ihnen den Wert eines Studiums zu vermitteln. Außerdem müssen wir unsere Angebote an neue Bedürfnisse anpassen, neue Segmente entdecken. Ich vermute, es ist noch viel Potenzial in Kooperationen mit dem Städtischen Klinikum in Dessau, wenn ich an den Bereich Facility Management denke. Auch das Umweltbundesamt ist für die Stadt und damit für die Hochschule eine große Chance. Das müssen wir entwickeln und vertiefen. (mz)