Im Gespräch mit Christoph Stölzl Im Gespräch mit Christoph Stölzl: Von Küsnacht nach Dessau
dessau/MZ - Küsnacht sei schockierend anders gewesen als das zerbombte München. Sie habe bürgerlich gelebt, in einem Reihenhaus, die Tante. Eine Autorität, ein Arbeitsmensch, sei sie gewesen, gemütlich nicht, freundlich, immer fordernd, ernsthaft und streng, sehr streng bei der Nachfrage nach schulischer und sportlicher Leistung. Vom Bauhaus habe sie wortkarg berichtet, fast wie von einer Jugendliebe, ironisch abwinkend, lachend, mit erstaunlich tiefer Stimme. „Es ist lange her“, sagt Professor Christoph Stölzl in Erinnerung an die Schwester des früh verstorbenen Vaters, an Gunta Stölzl, Meisterin für Weberei am Bauhaus Dessau.
Aufschlussreicher Briefwechsel
Befragt nach den Wirren von 1989/90 stapelt Stölzl ein wenig tief. Private Investoren standen bereit. Der damalige Direktor des Deutschen Historischen Museums führte wohl einige Gespräche. Die Institution überlebte. Gefragt nach der Rolle von Dessau im Dreiklang der Bauhausorte, verweist Stölzl darauf, dass die Bauhausidee eine der besten Botschaften, der interessantesten Denkansätze gewesen sei, die im 20. Jahrhundert aus Deutschland kamen. Stölzl spricht mit Blick auf die Bauhaus-Orte von einer „Perlenkette“, von einem Schatz, den man kooperativ zum Leuchten bringen solle. Das Bauhausarchiv Berlin sei eine fantastische Sammlung. Weimar stehe für die frühe Geniezeit, für den Aufbruch. Dessau sei der Platz, wo die meisten frühen Bauhausarchitekturen verwirklicht worden seien, darum auch der Ort, wo man sehr gut über den „Glanz und das Problematische der Bauhausidee“ nachdenken könne.
Der Schatz soll leuchten
Stölzl zeigt sich begeistert von jüngsten Publikationen, von der wissenschaftlichen Arbeit, die hier geleistet werde. Er spricht von der „Eroberung eines schwierigen Terrains“. Das Bauhaus in Afrika und Asien, in Israel: „Was wird aus der Idee, wenn sie durch die politischen Ereignisse in die Welt gewirbelt wird?“ Dessau müsse für eine breit aufgestellte Forschung stehen. Zurückhaltend ist Stölzl gegenüber der Idee, in Dessau systematisch Gegenwartsprobleme wie die Schrumpfung der Städte hier und deren Explosion anderenorts zu erforschen. „Das geschieht anderswo schon im großen Maßstab.“ Dessau solle sich vor allem dem Bauhaus widmen, dessen „Weltgeschichte“ auch medial verfügbar machen. Zudem solle die Tradition der Festlichkeit blühen: Stölzl spricht von einer Bauhauswoche, von Festivals, Workshops und Masterkursen, von der weltweit begehrten „Tuchfühlung mit dem magischen Ort“.
Relevante Fragen sind wichtig
„Das Bauhaus war auch eine Antwort auf den chaotischen Beginn des 20. Jahrhunderts.“ Die Bauhausgründer seien aus den Schlachtfeldern des Weltkriegs, aus der Hölle der Menschenverachtung gekommen. Stölzl: „Sie kommen aus Höllenschlunden und resignieren nicht, sondern sagen: wir denken eine bessere, neue Welt“. Die Bauhaus-Ära sei die Zeit ungeheurer Beschleunigung und Vernetzung gewesen, ein ganz aktuelles Thema, wie das am Bauhaus diskutierte Verhältnis von Technik, Wirtschaft und Moral. Eine Bauhaus-Ausstellung in spe könne eine „Rekonstruktion der Fragen und Wirkungen“ anstreben. Stölzl: „Man muss ästhetisch-moralische, für die Gegenwart relevante Fragen an das Bauhaus stellen.“