Heimatfest Zerbst Heimatfest Zerbst: Öl, Kaffee und Optimismus
Zerbst/MZ. - "Wir haben hier manchmal einen 25-Stunden-Tag", sagt Jürgen Reue, während er den Wurstbräter schrubbt. "Da darf nur ich ran", erklärt er. Reue verkauft Würste, Pilz- und Gyrospfannen. Sein Beruf ist seine Leidenschaft. Nach der Wende stellte ihn Siewiera als Aushilfe ein. "Nach einer Woche dachte ich: Bingo, das ist es".
Rund 60 Meter neben der "Schlemmerpfanne" beginnt ein Motor zu brummen. Der "Newcomer" begibt sich auf allmorgendlichen Probelauf. Langsam dreht sich der Arm mit der Gondel. Heinz Welte senior beobachtet sein Gefährt und erkennt: Ein Zahnkranz muss nachgefettet werden.
"Wer gut schmiert, der gut fährt", weiß Welte, wie er den Abnutzungseffekten seines Karussells am besten entgegenwirkt. Vor drei Jahren hat er es gekauft, für stolze 3,9 Millionen D-Mark. Schuld daran ist sein Sohn Heinz junior (18), der schon zeitig aus der Tradition vom Kinderkarussell seiner Ur-Urgroßeltern ausbrach und lange Überzeugungsarbeit leistete, bevor sein Vater dann endlich zustimmte. Die Resonanz der Zerbster über das Gefährt sei groß. "Ich bin sprachlos, wie viele ältere Menschen da einsteigen", staunt Welte.
Andy Wagner trinkt den letzten Schluck Kaffee, seine "Motivation Nummer eins", und schaltet den Kompressor an. Es ist Zeit für den Kontrollgang in seiner Geisterbahn, wie jeden Morgen um zehn. Sind die Bolzen noch an der richtigen Stelle? Ist mit den Figuren alles in Ordnung? "Das sind alles Sachen, die du beachten musst. Sonst gibt der Laden nach und nach den Geist auf", sagt der Berliner, während er einem grünen Monster eine neue Glühlampe als Auge einsetzt und dann weitergeht zu Skelett"Eddi", das vor einigen Jahren einen Brand überstand, als ein Besucher in der Bahn eine Kippe fallen ließ.
Solche großen Schäden sind jedoch selten. Oft reicht ein klein wenig Öl, damit alle Effekte klappen. "Manche sind hier schon schreiend rausgerannt", lacht Wagner, der für einen reibungslosen Ablauf sorgt, wenn der Besitzer der Bahn, Helmut Nitzsche, nicht da ist. Trotz schwindender Besucherzahlen auf den Jahrmärkten liebt er seine Arbeit. "Ich würde nie woanders anfangen wollen."
Den richtigen Enthusiasmus hat Thomas Müller hingegen verloren. Er schaut hinauf zu seinem 48 Meter hohen Riesenrad, während die Sonne auf den Festplatz knallt. Seine Mitarbeiter putzen das Gelände, haben auch den Testlauf schon ohne den Chef gemacht.
Müller führt einen Traditionsbetrieb. Sein Großvater hat 1926 das erste Riesenrad bauen lassen. "Ich bin hier groß geworden, kenne nichts anderes", sagt Müller über den Rummelplatz. Durch den Euro hätten sich die Schausteller jedoch auf eine wirtschaftliche Talfahrt begeben. Früher hatte er sechs Mitarbeiter, nun kann er sich nur noch vier leisten. "Die Leute geben weniger aus", klagt er. Und versucht sich zu erinnern, wann zum letzten mal alle Gondeln besetzt waren. "Das ist schon lange her."
In drei Stunden, gegen zwei, wird er das Riesenrad öffnen. Und auf Besucher warten. Die ersten werden, so weiß er aus Erfahrung, gegen 15 Uhr kommen. Ein langer Tag liegt vor Müller, Wagner und auch vor Familie Drechsler. Erst gegen vier Uhr nachts wird die Musik aus dem Festzelt verstummen, und die Schausteller können Kraft schöpfen. Für einen neuen Tag auf dem staubigen Rummelplatz.