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Gedenken an den Tod von Oury Jalloh  Gedenken an den Tod von Oury Jalloh : "Mörder"-Rufe vor der Staatsanwaltschaft in Dessau

Von Heidi Thiemann und Thomas Steinberg 07.01.2015, 09:21
Die Demo ging zur Staatsanwaltschaft und zum Landgericht.
Die Demo ging zur Staatsanwaltschaft und zum Landgericht. SebaStian Lizenz

Dessau - „Wir waren nicht 500. Wir waren nicht 600 oder 700. Wir waren 1.000.“ Ob es nun 1.000 waren, wie die Veranstalter meinten, oder 700, wie die Polizei schätzte: Die Oury-Jalloh-Demonstration am Mittwoch war die mit Abstand größte ihrer Art. Der Anlass: Vor genau zehn Jahren war der Mann aus Sierra Leone in einer Dessauer Polizeizelle unter weitgehend ungeklärten Umständen verbrannt.

Für die Demonstranten stand und steht fest: Jalloh kann sich unmöglich selbst angesteckt haben, „Oury Jalloh, das war Mord“ lautet deshalb ihr zum Slogan gewordener Vorwurf auf dem friedlichen, dreieinhalbstündigen Zug durch Dessau. Vorbei an Staatsanwaltschaft, Landgericht, Alberto-Adriano-Gedenkstein, Rathaus und Polizeirevier in der Wolfgangstraße.

An der Friedensglocke versammelten sich ab 9.30 Uhr etwa 20 Anhänger der NPD. Sie hatten die Demonstration kurzfristig am Montag angemeldet. Ihre Hauptforderung: „Härtere Strafen für kriminelle Ausländer“.

Das Bündnis Dessau Nazifrei stand mit 25 Gegendemonstranten in der Nähe und versuchte mit Pfiffen, Trillerpfeifen und lautstarken Rufen die Reden der Rechten zu übertönen.

Ein Großaufgebot der Polizei schirmte beide Lager voneinander ab und sicherte die Lage zwischen Rathaus und Rathaus-Center. (hth)

Komi Edzro, einer der führenden Köpfe der Jalloh-Initiative, hatte zu Beginn vor dem Dessauer Hauptbahnhof geredet - wütend. Edzro ist Afrikaner und sagte: „Unsere Hautfarbe spielt hier eine Rolle. Wir werden kontrolliert, wir werden schikaniert, wir werden nicht akzeptiert.“ Jalloh sei nicht der einzige Afrikaner, der in Deutschland durch Polizeigewalt gestorben sei. Edzro sagte, man habe ihm geraten, es nicht so zu nennen, aber in seinen Augen handele es sich nicht um Einzelfälle, sondern um einen Genozid.

Eine Stunde später standen die Demonstranten vor der Staatsanwaltschaft und brüllten „Mörder“ und „Ihr habt Blut an euren Händen“. Kaum jemand beachtete in diesem Moment die Rede aus dem Lautsprecher des Begleitfahrzeugs. Es gab ein bisschen Gedränge vor dem Eingang des Gebäudes, doch weiter passierte nichts: Die Polizei war präsent, blieb aber gelassen – kein Vergleich mit 2012, als der Spruch „Oury Jalloh - das war Mord“ Grund für ein Eingreifen und handfeste Auseinandersetzungen mit Demonstranten waren.

Vor dem Polizeirevier bot sich gegen 18 Uhr eine zugleich unheimliche wie berührende Szenerie: Es brannten Kerzen auf den Stufen, ein Sarg und ein Feuerlöscher standen darunter, darüber Bilder von Schwarzen, die nach Ansicht der Jalloh-Initiative einzig sterben mussten, weil sie schwarz waren. Letzte Reden wurden gehalten, letzte Lieder gesungen. Man darf annehmen, nicht zum letzten Mal.

Der zehnte Todestag von Jalloh hatte am Morgen mit einem stillen Gedenken an dieser Treppe begonnen. Blumen, Kerzen und ein Porträtfoto von Oury Jalloh erinnerten da schon an den Asylbewerber aus Sierra Leone. Warum musste Oury Jalloh sterben? Die Umstände seines Todes sind bis heute nicht endgültig geklärt. „Das wirft noch immer viele Fragen auf“, sagte Razak Minhel vom Multikulturellen Zentrum. Nicht nur bei der Familie und Freunden des Mannes.

In Trauer, Ungewissheit, Wut und Verzweiflung, so Oberbürgermeister Peter Kuras, hätten sich Vorwürfe von Rassismus und absichtlicher Tötung gemischt. Denn trotz vieler Gerichtsverhandlungen, sagte Kuras: Ein befriedendes Urteil sei nicht gesprochen worden. Weshalb die Zivilgesellschaft die Antwort auf die offenen Fragen geben müsse. Die Polizei müsse sicherstellen, „dass so etwas nie wieder passieren kann“. Von der Bürgerschaft, erklärte das Stadtoberhaupt, „muss das Signal ausgehen, dass Rassismus und Fremdenfeindlichkeit keinen Platz in Dessau-Roßlau haben“.

Dass für ewig Gestrige kein Platz in der Stadt ist, hätten stets die Proteste gegen Rechts rund um den 7. März gezeigt. „Sorgen wir dafür, dass es so bleibt“, erklärte Kuras und meinte auf Oury Jalloh bezogen: „Möge es eines Tages eine Trauer in Frieden geben.“

(mz)

Teilnehmer der Demo: "Genug - geschwiege, vertuscht, gedeckt" steht auf einem Transparent.
Teilnehmer der Demo: "Genug - geschwiege, vertuscht, gedeckt" steht auf einem Transparent.
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Die Demo ging zur Staatsanwaltschaft und zum Landgericht.
Die Demo ging zur Staatsanwaltschaft und zum Landgericht.
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Die Demo ging zur Staatsanwaltschaft und zum Landgericht.
Die Demo ging zur Staatsanwaltschaft und zum Landgericht.
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Am Morgen hatten OB Peter Kuras an einem stillen Gedenken teilgenommen.
Am Morgen hatten OB Peter Kuras an einem stillen Gedenken teilgenommen.
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Oberbürgermeister Peter Kuras erinnert an der Treppe des Polizeireviers an Oury Jalloh.
Oberbürgermeister Peter Kuras erinnert an der Treppe des Polizeireviers an Oury Jalloh.
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An der Friedensglocke demonstriert die NPD, begleitet von einer Gegendemo. Viele Polizisten sind vor Ort.
An der Friedensglocke demonstriert die NPD, begleitet von einer Gegendemo. Viele Polizisten sind vor Ort.
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