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Gärtnern mit Arbeitsblatt

Von Hans-Peter Berth 13.09.2004, 17:12

Dessau/MZ. - "Wir wollen zeigen, dass zwischen Meisterhäusern und Kornhaus etwas steht, das beachtenswert ist", verdeutlicht Karl-Heinz Kludas das Anliegen des Heimatvereins Ziebigk. Gemeint ist die Knarrbergsiedlung, die erste geschlossene ökologisch geprägte Gartensiedlung Europas, ursprünglich Gartensiedlung Dessau-Ziebigk genannt.

Und so luden Verein und Freunde der Knarrbergsiedlung am vergangenen Sonnabendabend ins Kornhaus zu einer öffentlichen Veranstaltung ein. Anliegen war, vor allem die Tätigkeit des Gartenarchitekten Leberecht Migge, gemeinsam mit dem Architekten Leopold Fischer geistiger Vater der Siedlung, zu beleuchten und zu würdigen. Dazu hatte man mit Irene Hubenthal vom Migge-Archiv der Uni Kassel eine Expertin verpflichtet.

"Gärten für Jedermann!", lautete Migges Motto, "Schafft Gärten!", war seine Botschaft, und zwar produktive Gärten. Migge entwickelte städtische Selbstversorgersysteme, erdachte ökologische Kreisläufe, lebte seine Ideen selber vor, gab eine entsprechende Zeitschrift heraus, die "Siedlungs-Wirtschaft".

Die Gartensiedlung Dessau-Ziebigk (Brunnen-, östliche Windmühlenstraße und Knarrberg) verglich er mit dem Ei des Kolumbus, konnte er doch hier weitgehend seine Ideen umsetzen. Eine Besonderheit besteht darin, dass mit dem Haustürschlüssel ein durchgestalteter, bepflanzter Garten übergeben wurde. Dieser war in die Bereiche Nutz-, Küchen- und Wohngarten unterteilt und garantierte Obst durchgängig bis zum Frühjahr.

Migge typisierte die Gärten, normierte die Gartenelemente. Er ging davon aus, dass nicht sämtliche Siedler Gartenbaukenntnisse besitzen konnten und stattete sie zur Anleitung mit Arbeitsblättern aus. Es entstand eine schlichte, klar gegliederte Wohnsiedlung mit dem Anspruch der Selbstversorgung. Migge sah den Garten als Ergänzung zum Wohnen, verlagerte das Wohnen nach außen und brachte dadurch eine höhere Qualität ins Wohnen.

Gerhard Becker schwärmte geradezu von der Knarrbergsiedlung, deren Häuser im Unterschied zur Gropiussiedlung in Törten übrigens noch in Ziegelbauweise entstanden. "Für die damalige Zeit war die Siedlung ein absoluter Fortschritt", sagte Becker im Kornhaus und kann sich ein Urteil erlauben, wohnt er doch seit 1931, seit seiner Geburt, dort.

Vom Erzählen der Eltern weiß er, dass für alle 182 Siedlerfamilien die Anlieferung von Düngemittel, Saatgut und Torf - letzteres fürs Trockenklosett - organisiert war. Nicht vergessen bei der Würdigung Migges: Der Gartenarchitekt war an zwei weiteren Dessauer Siedlungen beteiligt, an der Kleinkühnauer Siedlung (Merziner Str.) sowie an der Siedlung Hohe Lache, wo er im Hasenwinkel zehn Mustergärten gestaltete. Seine Ideen, so arbeitete man heraus, seien auch heute noch wichtig.