Hartnäckige Legenden Friedhof Dessau: Ruht Fürst Leopold I. in Törten?

Dessau - Im Monat des Innehaltens, Gedenkens und Nachdenkens über Leben, Zeit und Vergänglichkeit werden im November oft Friedhöfe besucht. Zur Begräbnisstätte vor der Kirche Törten indes hatten Mitglieder des Gemeindekirchenrates und der Gemeinde St. Peter und Kreuz um Pfarrerin Elisabeth Preckel am Sonnabend noch aus anderen Gründen geladen.
Beim Friedhof-Informationstag gab es Auskünfte, Gespräche und Führungen. Und Einblicke: Erstmals gezeigt wurden der Öffentlichkeit die historischen Kirchenbücher.
Kirchenschatz wird lückenlos seit 400 Jahren fortgeschrieben
In denen vermerkt und beurkundet sind sämtliche kirchlichen Handlungen für deren Mitglieder: Von der Taufe als Aufnahme in die Gemeinde Christi, über die Konfirmation zur Trauung bis zum Begräbnis. Im Alltag sicher aufbewahrt in der Pfarrstelle, wurde für diesen Tag in einer Vitrine im Gotteshaus St. Peter ein Blick auf ausgewählte Exemplare gewährt.
Distanz ist geboten, das Papier vergilbt und die mit Federkiel geschriebene Tinte verblasst: Seit genau 400 Jahren werden auf dem Friedhof in Törten Begräbnisse beurkundet. Das älteste Kirchenbuch stammt aus dem Jahr 1616. „Die Aufzeichnungen sind seither lückenlos“, ist Lektorin Helga Sinner stolz auf diesen Schatz.
Stadtarchiv Dessau hat mittelalterliches Deutsch übersetzt
Ihn zu heben und der heutigen Leserschaft zugänglich zu machen, ist Verdienst des einstigen Stadtarchivars Bernhard Heese, der mit Pfarrer Werner Lange das mittelalterlich-kryptische Deutsch für das 20. Jahrhundert ins Verständliche übersetzte. So ist 1616 „zu Törten selig im Herrn entschlafen“ am 5. Martii Jacobs Quassens Söhnlein - ungetauft und namenlos - und am 8. Martii Jacob Quassens Hausfrau Ursula - mutmaßlich im Kindbett.
Das Sterberegister reiht im gleichen Jahr noch Valtin Quassens Tochter Margaretha auf und verzeichnet auch weitere Schicksalsschläge ganzer Familien. Holzförster Thomas Körting trug am 7. August den ältesten Sohn Johannes und am 18. August Töchterlein Maria zu Grabe. Am 24. November 1616 verschied Andreas Körting, wie man den alten Richter genannt hat, dessen Tochter Maria zuvor am 5. May beerdigt wurde.
Leid und Verluste im 30-jährigen Krieg
Ein wenig mitteilsamer wird der Schreiber (der Pfarrer?) 22 Seiten später und schildert Leid und Verluste, die der 30-jährige Krieg (1618-1648) nach Törten brachte mit „groß Kriegsvolk und Gefahr“. Das Vieh wurde gestohlen, die Kirche aufgebrochen und geplündert, die Mühle verwüstet. Es blieben Hunger und Elend. Berichten die Kirchenbücher.
Aber schon in den Jahrhunderten zuvor diente der Platz um die Kirche als Begräbnisstätte. Und das Gotteshaus selbst wird bereits 1228 erstmals schriftlich von Pfarrer Pfarrer Bertramus Plebanus de Torten erwähnt. Die älteste Glocke der Kirche wird heute im Stadtgeschichtsmuseum im Johannbau aufbewahrt und weist auf ein Gotteshaus noch vor 1200 hin.
Törten bietet auch heute noch Platz für die letzte Ruhe
Der traditionsreiche Gottesacker ist bis heute kirchlicher Friedhof und steht weiter für Beisetzungen zur Verfügung – unabhängig von Gemeindezugehörigkeit oder Konfession. Das war vor Jahrzehnten noch anders, als die Grabstellen restriktiv nur im engsten Gemeindekreis vergeben wurden. „Da wurde auf dem Zentralfriedhof in Kühnau bestattet“, weiß Gemeinderatsvorsitzender Bernd Krause, dass dies vielen Törtenern erstens zu weit weg, aber zweitens die Meinung „hier sei zu wenig Platz“ noch weit verbreitet ist. Das ist nicht mehr so.
Heute bietet der Friedhof etwa 700 Verstorbenen die letzte Ruhe. Darunter finden sich bekannte Namen wie der Maler Carl Marx (1911-1991), der Komponist Siegfried Bethmann (1915-1993) und der Schriftsteller Werner Steinberg (1913-1992).
Rätsel um den Alten Dessauer
Und bis heute ungeklärte Rätsel. So hält sich die Legende, dass in Törten auch der Alte Dessauer ruht. Fürst Leopold I. (1676-1747). Bewiesen werden kann nicht. Zeitzeugen einer abenteuerlichen Bergung sterblicher Überreste aus der 1945 vom Krieg zerstörten Gruft der Fürstenfamilie in Dessau sind gestorben. Oder sie schweigen. Oder kolportieren die Geschichte mit vieldeutigem Lächeln. (mz)
