«Freiwilliges Engagement ist nicht selbstverständlich»
DESSAU-ROSSLAU/MZ. - Bei der Verleihung von Preisen an Ehrenamtliche hat Dessau-Roßlaus Sozialdezernent Gerd Raschpichler am Mittwoch einerseits die Notwendigkeit des Ehrenamts betont, andererseits vor der Tendenz gewarnt, immer mehr Aufgaben an Ehrenamtliche zu übertragen. Das Ehrenamt dürfe nicht zum Lückenbüßer werden, sagte Raschpichler, weil es Aufgaben gebe, die sicher und dauerhaft finanziert werden müssten.
Die Stadt hat in diesem Jahr erstmals gemeinsam mit der Liga der freien Wohlfahrtsverbände Ehrenamtliche ausgezeichnet, die vor allem im sozialen Bereich tätig sind - und das zumeist seit vielen Jahren. Zu diesen gehört die 78-jährige Inge Lamm als dienstälteste Telefonseelsorgerin in Dessau-Roßlau. Seit 1998 ist sie dabei, sitzt 200 Stunden im Jahr am Telefon und nimmt Hilferufe entgegen.
"Manche rufen immer wieder an, weil sie einsam sind und wir der letzte Kontakt." Doch immer wieder komme es vor, dass auch Menschen in akuten Situationen die Nummer (0800) 111 0 111 wählen. "Das verändert einen beim Umgang mit anderen Menschen", hat Inge Lamm selbst erfahren. "Man lernt das Zuhören." Für sie, die einst in einem Klubhaus gearbeitet hatte, war eine komplizierte Krebsoperation Mitte der 90er Jahre Anstoß, Telefonseelsorgerin zu werden. "Man muss auch im Alter etwas tun."
Es sind ganz unterschiedliche Menschen mit ganz unterschiedlichen Aufgaben, die am Mittwoch im Dessauer Ratssaal ausgezeichnet wurden. Steffen Hehl kümmert sich bei der Johanniter-Unfall-Hilfe im Katastrophenfall um Notunterkünfte und Notinfrastruktur und wartet Technik. Irene Lieschke hat in bei den Linken die Senioren-AG gegründet. Gedächtnistraining bietet Elinor Thiemert beim Verein Bürgerhilfe an.
Seit Jahren arbeitet Elisabeth Taubert im Kreisverband des Sozialverbandes Deutschland. Ljuba Schmidt hat als Vorsitzende des Vereins Hilfe für Tschernobyl Kinder zum Urlaub aus Brjansk nach Deutschland geholt. Daniela Stötzer hilft beim Management des DRK-Katastrophenschutzes; Ehrengard Hirndorf begleitet im Hospizdienst Sterbende und deren Angehörige. Peter Hoffmann bringt sich als Vorsitzender des Behindertenverbandes immer wieder ein, wenn es um Belange der Behinderten geht. Der belgische Marist Maurice Godenir arbeitet ehrenamtlich ein- bis zweimal wöchentlich in der Bahnhofsmission. Die Ärztin Bettina Grätz ist Supervisorin der Notfallseelsorge. Claudia Schneider betreut das Kleiderstübchen des Caritasverbandes.
Raschpichler betonte, dass freiwilliges Engagement alles andere als selbstverständlich sei, zumal viele Ehrenamtliche auch beruflich stark eingebunden seien. Andererseits zeige sich immer wieder, dass die Übernahme eines Ehrenamts auch gebunden sei an ein gewisses Maß von sozialer Sicherheit des Einzelnen, weshalb es sehr schwer sei, Menschen, die ausgegrenzt wurden oder sich selbst ausgegrenzt haben und in der Resignation anheim gefallen seien, für das Ehrenamt zu gewinnen.